Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon
sie es gesagt: Sibilla, ein schöner heidnischer Name, der ihr in ihren Träumen eingegeben worden war. Sibilla, die weise Frau, Priesterin und Prophetin der Großen Mutter.
Catherine richtete sich mühsam auf, griff nach dem Kind und entgegnete in einem Ton, aus dem reiner Trotz sprach: »Marie. Ihr Name ist Marie, nach der Heiligen Jungfrau, und ich will nichts anderes hören. Wir sind hier nicht in Italien mit seinen wunderlichen alten Bräuchen, und das hier ist kein heidnisches Haus.«
Ana Magdalena hob kühl die dichten schwarzen Augenbrauen. »Nenn sie, wie du willst, Schwiegertochter, doch ihr Name vor Gott und Seiner Mutter wird immer Sibilla sein.«
»Pierre!« Catherine wandte den Kopf, wobei ihr das rotgoldene Haar wie ein Fächer über eine Schulter fiel, und sah ihren Mann aus ihren grünen Augen flehend an. Selbst jetzt, da sie in Blut und Schweiß gebadet war, die Beine mit dunkler Nachgeburt verschmiert, war sie eine schöne Frau, und ihr Mann würde ihr keinen Wunsch abschlagen.
»Pierre, willst du wirklich zulassen, dass unser einziges Kind einen heidnischen Namen trägt? Und nicht einmal einen richtig französischen?«
Ana Magdalena richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und schaute ihren Sohn unverwandt an. Sie war dabei, das Werk der Mutter zu verrichten, und bei solchen Gelegenheiten spürte sie, wie die Göttin mit unheimlicher Kraft in sie drang. Sie wusste, dass Pietro das alles in ihren Augen las und dass sie nichts sagen oder tun musste, um sich durchzusetzen. Ihr Sohn praktizierte den christlichen Glauben einzig und allein, um seine Frau zu besänftigen, doch Ana Magdalena war gewiss, dass er, wenn er im tiefsten Herzen überhaupt einer Gottheit huldigte, die Göttin anbetete ... und der Blick der Einen, welche die Mutter von allen war, würde ihn an seine Pflicht erinnern. Er schaute sie an, nahm die Botschaft wahr und begriff. Doch gleichzeitig wusste Ana Magdalena, dass er seiner schönen Frau die Bitte nicht ganz abschlagen konnte. Daher seufzte er, erschöpft wie er war, und sagte ruhig: »Ich will nicht, dass ihr Frauen euch streitet. Feuer hin oder her, heute ist ein Freudentag. Wir haben rechtzeitig vor dem Regen eine gute Ernte eingefahren, unser Anteil am Weizen ist heute Abend bereits in der Scheune vom alten Jacques in Sicherheit gebracht worden, und mein erstes Kind wurde geboren. Ihr Name ist Marie Sybille, und damit basta.«
Dann half er seiner Frau auf das Bett. Ana Magdalena fuhr mit ihrer Arbeit fort, als hätte das Böse nie die Kate betreten, als hätte es Catherine nie zu Seiner Verbündeten gemacht. Sie half ihrer Schwiegertochter aus dem mit Fruchtwasser und Blut getränkten Unterkleid und wusch sie so gut wie möglich mit dem feuchten Tuch ab, denn es war jetzt zu dunkel, um frisches Wasser aus dem Brunnen zu holen. Da die Nacht inzwischen hereingebrochen war, zog die junge Frau sich nicht wieder an. Als Catherine trotz der Hitze am ganzen Körper eine Gänsehaut bekam, legte Ana Magdalena den Rest der versengten Decke um die nach vorn gesunkenen Schultern der jungen Frau.
Dann band sie ein Stück Stoff um Catherines breite Hüfte und befestigte daran noch ein zweites Tuch, um gegebenenfalls eine Nachblutung aufzufangen. Anschließend verabreichte sie der jungen Frau einen starken Schlaftrunk, den sie mit Weidenrinde vermischte. Zu guter Letzt säuberte sie das Kind, wickelte es in Windeln und reichte es seiner Mutter. Trotz ihrer anfänglichen Enttäuschung gurrte Catherine vor Entzücken über ihre Tochter und folgte sorgfältig den Anweisungen der Hebamme, wie sie es anlegen solle, während Ana Magdalena ihr das lange rote Haar kämmte und flocht. Als das Neugeborene satt war, brachte die Hebamme Catherine eine Schüssel mit kaltem Eintopf und den Resten des Huhns, welche die junge Frau mit Heißhunger verspeiste.
Kurz darauf hängte Pietro seine Kleider über den querliegenden Balken am Kopfende des Bettes, und Vater, Mutter und Kind schliefen ein. Leise fegte Ana Magdalena die verkohlten Überreste des Gebärstuhls und das verbrannte Stroh vor die Tür. Inzwischen war ein Sturm aufgekommen. Zunächst fiel der Regen nur in wenigen, dicken Tropfen, dann heftiger in langen, nadelspitzen Fäden, sodass sie, als sie aus dem Fenster nach Süden schaute, den Olivenhain nicht erkennen konnte.
Sie sammelte die schmutzigen Lappen und Catherines fleckiges Unterkleid auf und hängte sie an die Zweige des kleinen Olivenbaums, damit der Regen sie reinwusch. Der
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