Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon
bevor sie auf dem Boden aufschlug, versuchte sie verzweifelt, sich zu drehen und auszuweichen, aber es war zu spät ...
Ihre Schulter traf die Lampe und stieß sie um, sodass sich das duftende Öl über den Boden ergoss wie ein Strom aus flüssigem Feuer. Das Öl, das nicht sofort in Brand geriet, durchtränkte Ana Magdalenas schwarze Röcke. Für die Dauer von ein oder zwei Herzschlägen beobachtete sie entsetzt, wie die Flammen sich durch den Saum ihrer Kleider fraßen und auf den Gebärstuhl aus Heu übergriffen, ebenso wie auf das weiche Nest aus Stroh, das darunter für das Neugeborene bereitlag.
Catherine stampfte mit den Füßen, schlug auf das nahende Feuer ein und schrie dabei unablässig - ob aus Angst, Wut oder vor Schmerzen konnte Ana Magdalena nicht sagen, denn sie war viel zu sehr damit beschäftigt, sich auf dem Boden zu wälzen, um die Flammen zu ersticken, die ihre Röcke bereits zur Hälfte verbrannt hatten und jetzt ihr Unterkleid angriffen.
»Pietro!«, schrie sie. »Mein Sohn, hilf!«, während Catherine, die sich wie durch ein Wunder vom brennenden Gebärstuhl in Sicherheit gebracht hatte, auf der Seite lag und brüllte: »Gott! Gott! Gott...!«
Umhüllt von schwarzem Rauch und loderndem Feuer, tauchte Pietro auf, die Augen vor Schreck weit aufgerissen, dennoch blieb er ruhig und zeigte jene ungewöhnliche Beständigkeit, die er seit seiner Kindheit besaß. Ana Magdalena schlug auf ihre ölgetränkten Röcke ein, von denen kleine Teile wie glühende Asche durch die Luft flogen. Sie schrie auf, als die Hitze ihr die Haare an Beinen und Armen versengte.
Als der Rand ihrer schwarzen Haube zu schwelen begann, zog sie sich den Stoff vom Kopf und warf ihn zur Seite.
Pietro war mit einem Satz bei ihr, hüllte sie rasch und fest in die einzige Wolldecke, welche die Familie besaß. Sobald die Flammen erstickt waren, riss er die Decke herunter und lief zum Feuer, das seine sich vor Schmerzen krümmende Frau bedrohte.
Ohne auf die quälenden Verbrennungen an ihren Schienbeinen zu achten, rappelte Ana Magdalena sich auf und lief zum Herd, auf dem der Eimer mit der Wasserration für den ganzen Tag stand. Sie packte ihn und schleuderte den Inhalt in die helle Feuersbrunst, die einmal der Gebärstuhl gewesen war. Mit lautem Zischen erlosch das Feuer, und eine dunkle Rauchwolke stieg auf; Pietro erstickte die restlichen Flammen mit der Decke und rief dann: »Mutter, kümmere dich um sie! Das Kind ist geboren, aber es gibt keinen Laut von sich!«
Catherine war endlich still und zur Ruhe gekommen, nur ihr Atem ging noch schwer vor Erschöpfung. Zwischen ihren Beinen lag das Kind, es war einfach auf den Boden geglitten. Ein gesundes, dunkelhaariges Mädchen, die roten Fäustchen fest geballt, das Gesicht unter der Nachgeburt verborgen, der blutigen Hülle, in der es die letzten neun Monate verbracht hatte. Mit einem Schauder erkannte Ana Magdalena die Glückshaube und bekam trotz der Hitze eine Gänsehaut auf den Armen. Ein ganz besonderes Omen, das Zeichen der Göttin für ein Kind, das über die zweifache Sehergabe verfügte, das zweifach ausersehen war.
Laut rief sie: »Nicht blau, siehst du? Sie ist noch nicht blau angelaufen!« Sie warf den Eimer zur Seite und eilte zu dem Kind. Mit einem Handgriff zog sie den Dolch von ihrem Gürtel, durchtrennte damit die Nabelschnur, steckte ihn wieder zurück, nahm das Kind auf den Arm und entfernte die Glückshaube. Mit den Fetzen ihrer zerrissenen Röcke wischte sie das rotschwarze Blut und die elfenbeinfarbene Fruchtschmiere von dem friedlichen kleinen Gesicht. Dann drehte sie das Kind um und klopfte ihm mit leichten, schnellen Schlägen zwischen die Schulterblätter.
Die Schläge wirkten Wunder; das Kind hustete, holte zum ersten Mal Luft und begann richtig zu schreien.
Catherine rührte sich. »Ist es ein Junge? Ein Sohn?«
»Ein gesundes Mädchen«, verkündete Ana Magdalena und fuhr überglücklich fort, das Kind abzuwischen, während Catherine schluchzte -beschämt über das Geschlecht des Kindes, oder bedauerte sie etwa, was noch schlimmer war, dass es überlebt hatte? Pietro lächelte das Neugeborene an, doch seine Freude war deutlich durch Enttäuschung getrübt.
»Bin ich denn die Einzige, die sich über das Kind freut?«, fuhr Ana Magdalena ihn an. »Dem Herrn sei Dank« - und im Geiste fügte sie hinzu: und der Göttin - »für diese gesunde Tochter!« Wie es ihr von ihrer Stellung her zukam, verkündete sie: »Ihr Name ist Sibilla.« Da hatte
Weitere Kostenlose Bücher