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Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Titel: Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Catherine, sobald sie niedergekommen war. Pietro saß am Tisch und ließ sich von seiner Mutter den Eintopf mit einem Stück Vollkornbrot servieren. Obwohl das Feuer längst erloschen war, strahlte der Herd noch immer Wärme aus, doch durch die offene Tür und das Fenster strömte ein kühler Windzug herein, der den Rauch vom Herd verbreitete. Mit der Brise kamen die Dunkelheit und ein Donnerschlag, bei dem Catherine den Kopf herumwarf wie ein aufgescheuchtes Reh.
    Ana Magdalena zündete die Öllampe an und trug sie zum Gebärstuhl hinüber, stellte sie vorsichtig an einer Seite auf den Boden, damit sie das Kind sehen konnte, wenn es kam, Catherine sie aber in ihrem Wehenschmerz nicht aus Versehen umstoßen konnte. Wie auf ein Stichwort begann die jüngere Frau zu wehklagen. Pietro stand mit besorgter, beinahe kränklich wirkender Miene auf und nahm seinen Teller mit. »Ich esse draußen.« Er ging hinaus und setzte sich in die kühle Dunkelheit.
    Ana Magdalena kniete nieder und fühlte noch einmal mit vorsichtigen, erfahrenen Fingern nach dem Ungeborenen. Das Kind lag genau so, wie es sein sollte, und die Nabelschnur war weit genug von seinem Hals entfernt. »Meine Tochter, ich kann bereits den kleinen Kopf des Kindes sehen, alles ist in bester Ordnung. Jetzt musst du jegliche Kraft aufwenden, die dir noch geblieben ist, um es in die Welt hinaus zu pressen.«
    Während sie sprach, fegte ein heftiger Windstoß in die Kate, rappelte an den offenen Fensterläden und ließ Ana Magdalena bis auf die Knochen frösteln, nicht vor Kälte, sondern wegen des Bösen, das damit hereingeweht wurde. Diana, la bona Dea, beschütze das Kind, betete sie sogleich, und verstärkte im Geist die unsichtbaren Barrieren um das kleine Haus, doch es war zu spät. Etwas - ein Wille, ein Geist, eine unselige Macht - war hereingekommen und hatte sich ganz in der Nähe niedergelassen. Die ältere Frau spürte seine Gegenwart so sicher, wie sie gemerkt hatte, dass der Wind den Schweiß auf ihrem Gesicht und ihren Armen hatte verdunsten lassen. Aber wo - und was - war es?
    Noch ehe Ana Magdalena in Gedanken eine Frage formulieren konnte, schaute Catherine auf, und im Licht der Öllampe blitzten ihre Augen in bösartigem Gelbgrün auf, wie die eines Wolfs, der sich in die Nähe eines Lagerfeuers wagt.
    Ana Magdalena holte tief Luft. Das waren nur die vor Schmerz zusammengekniffenen Augen ihrer Schwiegertochter, sagte sie sich. Doch zugleich hauste dort eine andere Macht, die tödlich grinste.
    Es konnte nicht sein, dass dieses Böse all ihre Vorsichtsmaßnahmen überwunden hatte, all ihre Gebete und Zauber und den Schutzkreis um die kleine Kate. Und dennoch war es da, kühn und trotzig.
    »Fort mit dir«, befahl Ana Magdalena, erfüllt von rechtschaffener Wut, mit solcher Gewalt, dass ihre Stimme brach. Sogleich verwandelte sich der unheilvolle Glanz in Catherines Augen in unschuldige Verwirrung und Elend.
    »Was?«, stöhnte die junge Frau, woraufhin Ana Magdalena liebevoll antwortete: »Nichts, mein Kind. Press ...« Dann nahm sie Catherines schmale, blasse Finger in ihre großen, dunklen Hände.
    Mit leisen, gutturalen Lauten und einem Griff, der die Knochen in Ana Magdalenas Fingern zu zerdrücken schien, begann die junge Mutter zu pressen. Kurz darauf war schon ein wenig mehr vom Scheitel des Kindes zu sehen. Doch mittendrin hörte Catherine auf zu pressen und jammerte: »Ich kann nicht! Ich kann nicht ... Heilige Mutter Gottes, hilf mir!«
    »Sie hört dich und hilft dir«, erwiderte Ana Magdalena rasch und dachte nur an das kleine Mädchen, das darauf wartete, den ersten Atemzug tun zu dürfen. »Du musst nur noch einmal pressen. Nur noch einmal, mein Kind ...«
    Erneut ergriff sie die Hände der jungen Frau.
    »Ich bin nicht dein Kind!«, kreischte Catherine mit plötzlicher Wildheit. Ihr Gesicht verzerrte sich wie bei einem zähnefletschenden Tier, ihre Augen wurden schmal und funkelten wieder bösartig. »Du hast mir das angetan, du alte Hexe! Du hast gewusst, dass ich zu schwach bin, dass ich daran zugrunde gehe, und trotzdem hast du mir Zaubertränke und Zauberformeln gegeben, um dieses Kind in mir zu halten ... Du willst es doch nur für deine eigenen, bösen Machenschaften!« Damit stieß sie Ana Magdalenas Hände mit derart überraschender Kraft zur Seite, dass die ältere Frau, die noch auf den Knien lag, das Gleichgewicht verlor und hart auf die Seite fiel.
    Die Lampe, fiel Ana Magdalena entsetzt ein. In dem Bruchteil der Sekunde,

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