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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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heiraten. Die Unmöglichkeit, Dich zu sehen, hat mein Verlangen nicht abgekühlt; nein, es ist eher geschürt worden. Tag und Nacht denke ich nur an Dich und an einen Weg, wie wir zusammenkommen können. Ich habe mich der Suche nach diesem Weg verschrieben und werde ihn auch finden.
    Bald werde ich bei Dir sein, Geliebte. Hab Vertrauen. Giuliano
    Ich ließ den Brief in den Schoß fallen und weinte untröstlich. Ich hatte kein Vertrauen - weder in Gottes Güte noch in Savonarolas gnadenlose Tiraden, noch in Giulianos Fähigkeit, den Anforderungen aus Pflicht und sozialer Stellung zu entkommen. Ich war nur die Tochter eines Tuchhändlers, für die sich Lorenzo törichterweise interessiert und für die Giuliano dummerweise Gefühle entwickelt hatte - Gefühle, die sicher mit der Zeit nachlassen und schließlich vergehen würden.
    Ich wollte den Brief den Flammen der Lampe zum Fraß geben, ihn in tausend Stücke zerreißen, sie in die Luft werfen und wie Staub niederrieseln sehen.
    Dumm, wie ich jedoch war, faltete ich ihn sorgfältig und legte ihn zu meinen anderen Andenken: zu Giulianos Medaillon, zu dem von Cosimo und dem Medici-Wappen; zu der Zeichnung, die Leonardo von mir angefertigt hatte, und zu seinem Brief; zu Giulianos Briefen, einschließlich dem, den ich nach seinem ausdrücklichen Wunsch hatte verbrennen sollen.
35
    Das Jahr 1493 - das Jahr nach Lorenzos Tod, das erste volle Jahr unter Pieros Herrschaft - war grausam für mich. Meine Monatsblutung setzte ein, was ich vor meinem Vater geheim hielt, indem ich die Wäscherin bestach, damit sie die Flecken auf den Laken nicht erwähnte. Trotzdem begann Vater von potenziellen Freiern zu sprechen. Er habe sein Versprechen an meine Mutter gehalten, sagte er; es sei nicht seine Schuld, dass Lorenzo gestorben sei, bevor er seine Meinung zu einer geeigneten Partie abgeben konnte. Und mit Sicherheit könne mein Schicksal nicht diesem Tölpel Piero anvertraut werden, der seine Unfähigkeit als Heiratsvermittler von Florenz bereits zur Genüge bewiesen habe - er hatte mehrere Verbindungen zugelassen, die auf die Missbilligung alter Adelsfamilien stießen. Nein, mein Vater hatte einen vornehmen Mann im Sinn, fest verankert in der florentinischen Gesellschaft und dennoch fromm, und wenn die Zeit gekommen sei, würde er ihn als meinen Freier empfangen.
    Zum Glück war ich noch jung, und mein Vater beließ es zunächst beim Gerede über einen Ehemann. Trotz unserer schwierigen Beziehung wusste ich, dass mein Vater mich liebte und dass meine Mutter ihm entsetzlich fehlte. Ich war seine einzige Verbindung zu ihr, weshalb ich annahm, dass er sich von mir nicht gern trennte.
    In jenem Jahr vermischte sich auch die Legende von einem papa angelico - einem Papst, der nicht von dieser Welt war und nicht von Menschen, sondern von Gott erwählt würde - mit einer zweiten alten Geschichte über das Eintreffen eines zweiten Kaisers Karl, der die Kirche säubern würde. Dieser Karl der Große würde dann die Christenheit unter der geistlichen Ordensregel des papa angelico einen.
    Es war der Sache nicht dienlich, dass der französische König Karl hieß oder dass er auf solche Legenden hörte und sie sich zu Herzen nahm. Es half auch nicht, dass er seinen Blick nach Neapel richtete und entschied, dass das südliche Fürstentum am Meer von Rechts wegen ihm gehörte. Schließlich war es der französischen Herrschaft erst vor einer Generation vom Vater des alten Königs Ferrante, Alfons dem Großmütigen, abgerungen worden. Frankreichtreue Barone wohnten noch immer in der Stadt und würden nur zu gern ihre Schwerter erheben, um ihren wahren Herrscher Karl zu unterstützen.
    Savonarola griff diese Ideen auf und vermengte sie mit seiner heiligen Vision. Er war immerhin so gerissen, dass er nie direkt nahelegte, er sei der engelsgleiche Papst, doch er begann zu predigen, Karl werde das Racheschwert des Herrn schwingen. Karl werde Italien geißeln und auf Büßerknie zwingen, und die Gläubigen sollten ihn mit offenen Armen empfangen.
    Vielleicht waren Fra Girolamo und seine treuen Anhänger begierig darauf, einen fremden König in Italien einmarschieren zu sehen, doch alle, die ich kannte, waren bei dem bloßen Gedanken äußerst beunruhigt. Das Gefühl eines bevorstehenden Unheils schwebte über uns allen wie ein Damoklesschwert. Gegen Ende des Jahres waren sich alle in Florenz darüber im Klaren, dass Karl Pläne schmiedete, im Juni des Folgejahres in Neapel einzumarschieren.
    »O Herr«,

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