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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Leben ein einziges, quälendes Warten. Von Leonardo erhielt ich weder Briefe noch eindrucksvolle Skizzen aus Mailand. Was aber weitaus schlimmer war - ich hörte auch nichts mehr von Giuliano.
    Sein älterer Bruder jedoch schürte viele Gerüchte in der ganzen Stadt. Piero richtete sein Augenmerk mehr auf Sport und Frauen als auf Diplomatie und Politik. Schon seit langem hieß es, sein Vater sei oft verzweifelt an Pieros Mangel an Scharfsinn und an seiner Arroganz.
    Vor allem an seiner Arroganz, und Lorenzo sollte recht behalten. Nur wenige Monate nach il Magníficos Tod gelang es Piero, sich zwei der engsten Berater seines Vaters und die meisten der Prioren zu entfremden. Es machte die Sache auch nicht besser, dass seine Mutter Clarice dem mächtigen Adelsgeschlecht der Orsini entstammte, die sich für Prinzen hielten; auch nutzte es nichts, dass Piero Alfonsina Orsini aus Neapel geheiratet hatte. Aus diesem Grund wurde er als Außenseiter betrachtet - nur zu einem Drittel florentinisch und zu zwei Dritteln selbsternannter Fürst.
    Savonarola verwendete das raffiniert in seinen Predigten und wiegelte die Armen gegen ihre Unterdrücker auf, wenn er auch darauf bedacht war, Piero nicht beim Namen zu nennen. Die Stimmung gegen die Medici nahm zu; zum ersten Mal äußerten sich die Menschen offen gegen die Familie - auf den Straßen und sogar in den großen Palazzi.
    Ich hatte in meinem Elend keine Ausreden mehr, Fra Girolamos Predigten aus dem Weg zu gehen. Ich nahm sie auf mich in der Hoffnung, dass mein Gehorsam als Tochter das Herz meines Vaters erweichen und ihn davon abhalten würde, Giuliano als Freier abzuweisen. Also war ich zweimal täglich in San Lorenzo und hörte den grimmigen kleinen Dominikaner predigen. Ende Juli, als Papst Innozenz starb, verkündete Savonarola, das sei ein weiteres Zeichen für den Zorn Gottes; Mitte August, als ein neuer Papst den Thron des heiligen Petrus bestieg, lief sein Gesicht vor Zorn rot an. Kardinal Rodrigo Borgia, jetzt Papst Alexander VI., wagte es, mit seinen drei unehelichen Kindern in den Vatikan einzuziehen: Cesare, Lucrezia und Jofre. Außerdem bezog er sich auf sie, wie die meisten Kardinäle und Päpste in der Vergangenheit, nicht als seine Nichten und Neffen; er bestand in aller Öffentlichkeit darauf, dass man sie als seine Kinder anerkannte. Gerüchten zufolge hielten sich auch Huren im Papstpalast auf, es fanden Orgien statt, bei denen man sich betrank. Das war der Beweis, dass der Zorn Gottes sich in Kürze entladen würde.
    Zalumma saß in der Kirche neben mir mit gesenktem Blick und abwesender Miene. Ganz offensichtlich dachte sie nicht über die Worte des Propheten nach, wie man hätte annehmen können; ich wusste, dass sie in ihrer Phantasie woanders war, vielleicht in den geliebten Bergen, die sie als kleines Mädchen verlassen hatte. Auch ich war an einem anderen Ort. In meiner Vorstellung beschwor ich die Villa in Castello herauf und die Pracht, die dort versammelt war, oder ich griff zurück auf die Erinnerung an meinen Rundgang durch il Magnificos Arbeitszimmer und rief mir das Leuchten eines großen Rubins oder die Glätte von Kleopatras Kelch ins Gedächtnis.
    Diese Erinnerungen hielten mich aufrecht, während ich den Worten Savonarolas lauschte; sie hielten mich aufrecht, wenn ich jeden Abend mit meinem Vater und Giovanni Pico aß, der viel zu viel Wein trank und am Ende des Mahles oft in Tränen ausbrach. Mein Vater geleitete ihn dann ins Arbeitszimmer, wo sie noch bis spät in die Nacht leise miteinander redeten.
    Der Herbst kam, dann der Winter, und das neue Jahr brach an. Endlich schmuggelte Zalumma einen Brief zu mir durch, der das Siegel der Medici trug. Ich riss ihn mit einer Mischung aus verzweifelter Hoffnung und ungezügelter Freude auf.
    »Madonna Lisa«, fing er an, und mit diesen beiden distanzierten Wörtern wurde meine Hoffnung zunichtegemacht.
    Ich bin am Ende meiner Weisheit. Piero hat mir standhaft die Erlaubnis verweigert, Dich zu heiraten; er sucht mir eine Braut aus, die das Ansehen der Familie verbessert und seine Position als Vaters Nachfolger festigt. Er denkt nur an Politik, nicht an Liebe. Mein Bruder, Kardinal Giovanni, ist fest entschlossen, dass ich eine Orsini heiraten soll, und will nichts anderes hören. Das will ich nicht. Ich teile Dir so etwas nicht mit, um Dich zu entmutigen, sondern um Dir mein langes Schweigen zu erklären und um Dir zu versichern, wie enttäuscht und entschlossen ich bin. Ich will keine andere

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