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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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konservativ in schlichte blaue Wolle und einen dunkelblauen, fast schwarz wirkenden Umhang gekleidet. Ich hatte ihn monatelang nicht zu Gesicht bekommen, seit dem Morgen der Beisetzung seines Vaters. Er war seither gewachsen und viel reifer geworden. Er war größer, das Gesicht schmaler und kantiger, die Schultern und der Rücken breiter. Erleichtert stellte ich fest, dass mein Vater ihn angemessen empfangen und Wein und etwas zu essen für den Gast hatte kommen lassen.
    Giuliano betrachtete mich seinerseits, und sein Strahlen nahm mir den Atem.
    »Lisa«, rief mein Vater. Im ersten, leichtsinnigen Augenblick dachte ich, er würde mich hereinbitten, doch er sagte: »Geh in deine Gemächer.«
    Wie betäubt ging ich die Treppe hinauf. Hinter mir vernahm ich Zalumma, die nachfragte, ob Ser Antonio noch mehr Wein haben wolle. Sie würde mir als Augen und Ohren dienen, doch das tröstete mich nur wenig. Ich ging in mein Zimmer, fand aber keine Ruhe. Deshalb wagte ich mich auf den Korridor. Ich konnte nicht hören, was unter mir vor sich ging - die Stimmen waren zu leise, um sie zu unterscheiden. Hilflos starrte ich aus dem Fenster auf den Kutscher und die schönen Pferde.
    Die ruhigen Stimmen waren ein gutes Omen, sagte ich mir. Giuliano, ein begnadeter Diplomat, hatte einen Weg gefunden, vernünftig mit meinem Vater zu reden.
    Ich musste noch eine Weile weiter leiden, bevor ich endlich Giuliano aus unserer Loggia auftauchen und den Hof zu seiner Kutsche überqueren sah.
    Ich riss das Fenster auf und rief seinen Namen.
    Er drehte sich um und schaute zu mir hoch. Die Entfernung war zu groß für Worte, doch mit einem kurzen Blick erfuhr ich alles.
    Er war niedergeschlagen. Dennoch hob er eine Hand, als wollte er nach mir greifen; und diese Hand führte er an sein Herz.
    Dann tat ich etwas Empörendes, etwas Unerhörtes: Ich hob die Röcke und rannte in halsbrecherischem Tempo die Treppe hinunter, fest entschlossen, Giuliano in seiner Kutsche anzuhalten, mich ihm anzuschließen und das Haus zu verlassen, in dem ich einst geboren wurde.
    Und ich hätte es möglicherweise geschafft - aber mein Vater war gerade aus dem Zimmer getreten, in dem er seinen Gast empfangen hatte, und erkannte, wohin ich wollte, trat vor die Tür und versperrte mir den Weg.
    Ich hob beide Hände, um ihn zu schlagen - oder vielleicht auch nur, um ihn zur Seite zu stoßen. Er packte mich an den Handgelenken.
    »Lisa, bist du wahnsinnig?« Er war ehrlich erstaunt.
    »Lass mich gehen!«, rief ich zornig, denn ich hörte Giu-lianos Kutsche bereits Richtung Tor rumpeln.
    »Woher weißt du es?« Sein Tonfall änderte sich schlagartig. Aus Erstaunen wurde Anklage. »Woher weißt du, warum er gekommen ist? Was hat dich auf den Gedanken gebracht, dass es sich um etwas anderes als einen Geschäftsbesuch handelt? Und wie kommt es, dass du so vernarrt in ihn bist? Du hast mich angelogen, hast mir etwas verheimlicht! Hast du überhaupt eine Ahnung, wie gefährlich das ist?«
    »Wie konntest du ihn abweisen, obwohl du gesehen hast, dass wir uns lieben? Du hast Mutter auch geliebt -wie wäre es dir gegangen, wenn man sie dir verwehrt hätte? Wenn ihr Vater dich abgewiesen hätte? Mein Glück ist dir völlig gleichgültig!«
    Statt seine Stimme zu heben, um sich der meinen anzupassen, wurde er leiser. »Im Gegenteil«, sagte er. »Dein Glück liegt mir sehr am Herzen - deshalb habe ich ihn abgewiesen.« Dann erkundigte er sich aufbrausend: »Hast du denn nicht die Unzufriedenheit überall auf den Straßen gehört? Die Medici haben den Zorn Gottes auf sich gezogen und den des Volkes ebenfalls. Würde ich ihnen meine Tochter ausliefern, wäre es für mich dasselbe, als würde ich sie direkt ins Unglück stürzen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der französische König kommt und die Geißel Gottes in Händen hält; was wird dann aus Piero und seinen Brüdern werden? Du gehst zweimal am Tag mit mir zur Messe. Wie kommt es, dass du nichts von dem gehört hast, was Savonarola sagt?«
    »Fra Girolamo hat keine Ahnung«, erwiderte ich hitzig. »Giuliano ist ein guter Mann aus einer Familie guter Menschen, und ich werde ihn eines Tages heiraten!«
    Seine Hand schoss so schnell hervor, um mich zu schlagen, dass ich sie nicht einmal kommen sah; im nächsten Augenblick hielt ich mir die brennende Wange.
    »Herr, vergib mir«, sagte er, ebenso überrascht ob seiner Tat wie ich. »Der Herr möge mir verzeihen, aber du hast mich provoziert. Wie kannst du davon reden, einen

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