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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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dass in Puglia ein schrecklicher Sturm gewütet habe, dessen Finsternis nur von einem blendenden Blitzschlag durchbrochen wurde, der nicht eine, sondern drei Sonnen am Himmel bloßlegte.
    Mein Vater hatte Giulianos Heiratsantrag und die Vorkehrungen für meine Verheiratung an einen piagnone offenbar vergessen. Er war noch sorgenvoller und zerstreuter als sonst. Zalumma zufolge weigerten sich die Medici nunmehr, ihre Wollstoffe bei ihm zu kaufen, womit sie eine Geschäftsverbindung abbrachen, die seit Cosimo de' Medici und meinem Großvater bestanden hatte. Die Geschäfte liefen schlecht: Tuch war zwar der Lieblingsstoff der edleren piagnoni, doch mein Vater wurde seine hell gefärbten Gewebe nicht mehr los, ja, es erwies sich sogar als schwierig, die dunklen zu verkaufen, da die Leute in solch unsicheren Zeiten nur ungern Geld für Garderobe ausgaben.
    Meinen Vater aber trieben andere Dinge um, die ich nicht erahnen konnte. Er ging früh zur Messe in Santo Spirito, gleich danach in seinen Laden und kam erst abends wieder heim; ich war mir sicher, dass er die Abendmesse im Dom oder in San Marco besuchte und dort wahrscheinlich seinen Freund Pico traf. Er redete jedoch nie darüber, kam spät nach Hause, dinierte mit Ser Giovanni, und es war ihm mittlerweile gleichgültig, ob ich ihnen bei Tisch Gesellschaft leistete.
    Im August hatte König Karl seine Truppen mobilisiert und die Alpen überquert; der erobernde Kyros hatte seinen unerbittlichen Marsch auf die Toskana angetreten. Was hat Piero de' Medici vor, um uns zu helfen?, fragte sich das Volk. Mein Vater schnaubte missbilligend. »Er vergnügt sich mit Sport und Weibern; ähnlich wie Nero spielt er, während Rom brennt.«
    Im September nahm die öffentliche Hysterie zu: Rapallo, die Küstenstadt im Osten, südlich von Turin und Mailand gelegen, wurde von den Söldnern geplündert, die an der Seite der Franzosen marschierten. Diese Soldaten waren nicht wie unsere italienischen condottieri, die ungehindert plünderten und die Ernte zertrampelten, Menschenleben indes verschonten. Nein, diese gedungenen Schwerter gehörten den finsteren Schweizern, denen Schätze nicht ausreichten: Sie lechzten nach Blut. Und das vergossen sie großzügig, brachten jede lebende Seele um, die ihnen be-gegnete. Säuglinge an der Brust der Mutter wurden aufgespießt; hochschwangere Frauen wurden bei lebendigem Leib gehäutet. Gliedmaßen und Köpfe wurden abgehackt. Aus Rapallo war ein grauenvoller Friedhof mit unbestatte-ten Leichen geworden, verwesendes Fleisch, das hoch aufgestapelt in der Sonne lag.
    Ganz Florenz war verrückt vor panischer Angst; selbst mein Vater, der früher so erpicht war, das Ende der Welt willkommen zu heißen, fürchtete sich. Die Öffentlichkeit wollte beruhigt werden, nicht von Piero de' Medici, nicht von unseren Prioren, sondern von dem einen Mann, der nun das Herz der Stadt in Händen hielt: der Prior von San Marco, Savonarola. Das öffentliche Geschrei war so groß, dass er sein selbst auferlegtes Schweigen brach und sich bereit erklärte, am Feiertag des heiligen Matthäus im großen Dom zu predigen.
    Da wir wussten, dass sich eine große Menschenmenge versammeln würde, kamen wir schon im Morgengrauen zur großen Piazza, als die Sonne noch niedrig stand und das Licht schummrig war. Der Himmel war mit rotgeränderten Wolken bezogen, die Regen ankündigten.
    Die Kirchentreppe, der Garten und der Platz selbst waren überfüllt, sodass unser Fahrer die Kutsche nicht ganz auf die Piazza lenken konnte. Zalumma, mein Vater und ich mussten aussteigen und uns zu Fuß zur Kathedrale durchkämpfen.
    Von christlicher Nächstenliebe war nichts zu spüren. Mein Vater, ein körperlich starker Mann, drängte ohne ein Wort der Entschuldigung, ja regelrecht brutal durch die Menge und schaffte gerade genug Platz, damit Zalumma und ich ihm folgen konnten, dicht hinter ihm.
    Fast eine Stunde brauchten wir, um in die Kirche zu gelangen. Sobald man meinen Vater erkannte, wurden wir wie Würdenträger behandelt: Dominikanermönche geleiteten uns den Rest des Weges bis vor ins Heiligtum, direkt vor die Kanzel. Trotz der Menschenmenge hatte man die Bänke in der Kirche gelassen. Für uns waren Plätze freigehalten worden.
    Dort wartete Graf Giovanni Pico auf uns. Bei seinem Anblick erschrak ich. In den vergangenen Monaten war er fast jeden Abend bei uns zu Hause gewesen, doch ich war nicht hinuntergegangen und hatte ihn bestenfalls aus den Augenwinkeln wahrgenommen. Jetzt sah

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