Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
bestellt, und außerdem habe ich eine Botschaft an die Diener in der römischen Villa geschickt, damit sie alles für uns vorbereiten. Wir müssen eine Annullierung beantragen«, sagte er. »Und das sage ich nicht nur so dahin. Ich will Anna heiraten. Ich möchte Kinder mit ihr haben.«
Lorenzo lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und nahm seinen Bruder genau in Augenschein, als versuchte er herauszufinden, ob er ein Betrüger sei. Als er sich davon überzeugt hatte, dass die Worte ernst gemeint waren, lachte Lorenzo kurz und erbittert auf. »Eine Annullierung? Eine Gefälligkeit unseres guten Freundes, Papst Sixtus, vermute ich? Der es lieber sähe, wenn wir aus Italien verbannt wären?« Er stieß sich vom Schreibtisch ab, erhob sich und streckte eine Hand nach seinem Bruder aus. Seine Stimme wurde sanfter. »Das ist doch eine Wunschvorstellung, Giuliano. Ich sehe ja ein, dass sie eine prächtige Frau ist, aber ... Sie ist seit einigen Jahren verheiratet. Selbst wenn ich eine Annullierung in die Wege leiten könnte, würde es einen Skandal auslösen. Florenz wäre damit nicht einverstanden.«
Lorenzos Hand berührte fast seine Schulter; Giuliano schob sie von sich, der versöhnlichen Berührung auswei-chend. »Mir ist einerlei, womit Florenz einverstanden ist oder nicht. Wir werden in Rom bleiben, wenn es nicht anders geht.«
Lorenzo seufzte enttäuscht. »Du wirst von Sixtus keine Annullierung bekommen. Gib deine romantischen Ideale auf: Wenn du nicht ohne sie leben kannst, schön, dann nimm sie dir - aber mach es um Himmels willen diskret.«
»Wie kannst du nur so von ihr reden?«, begehrte Giuliano wütend auf. »Du kennst Anna, du weißt, dass sie sich niemals auf Betrug einließe. Und wenn ich sie nicht haben kann, dann will ich auch keine andere Frau. Du kannst deine Vermittlungsbemühungen sofort einstellen. Wenn ich sie nicht heiraten kann ...«
Noch während er sprach, spürte er, dass sein Einwand keine Wirkung zeigte. Lorenzos Augen funkelten mit einem Mal so eigenartig - wütend und grimmig, am Rande des Wahnsinns -, und dieses Funkeln brachte Giuliano auf den Gedanken, sein Bruder sei in der Lage, etwas aus reiner Böswilligkeit zu tun. Ein solches Leuchten hatte er nur selten in Lorenzos Augen gesehen - noch nie war es gegen ihn gerichtet gewesen. Ein kalter Schauer lief ihm dabei über den Rücken.
»Was willst du? Dich weigern, überhaupt zu heiraten?« Lorenzo schüttelte heftig den Kopf; seine Stimme wurde lauter. »Du hast eine Pflicht, eine Verbindlichkeit gegenüber deiner Familie. Du glaubst, du kannst aus einer Laune heraus nach Rom ziehen und unser Blut an einen Wurf Bastarde weitergeben? Du würdest uns mit Exkommunikation besudeln! Denn genau so würde es kommen, verstehst du - für euch beide! Sixtus ist nicht in der Stimmung, uns gegenüber großzügig zu sein.«
Giuliano sagte nichts; Wangen und Nacken brannten. Er hatte nicht weniger erwartet, obwohl er sich mehr erhofft hatte.
Lorenzo fuhr fort; aus der versöhnlichen Hand, die er gerade noch seinem Bruder entgegengestreckt hatte, wurde nun ein zustoßender, anklagender Zeigefinger. »Hast du überhaupt eine Ahnung, was mit Anna passieren wird? Wie man sie nennen wird? Sie ist eine anständige Frau, eine gute Frau. Willst du sie wirklich ruinieren? Du wirst sie mit nach Rom nehmen und ihrer früher oder später überdrüssig werden. Du wirst wieder nach Florenz kommen wollen, nach Hause. Und was wird ihr dann bleiben?«
Wütende Worte lagen Giuliano auf der Zunge. Er wollte schon sagen, auch wenn Lorenzo eine alte Vettel geheiratet habe, wolle er, Giuliano, lieber sterben, als in einem derart lieblosen Elend zu leben, er werde sich niemals darauf einlassen, Kinder mit einer Frau zu zeugen, die er verachtete. Doch er blieb stumm; er war schon unglücklich genug. Außerdem war es zwecklos, Lorenzo die qualvolle Wahrheit ins Gesicht zu sagen.
Lorenzo knurrte verächtlich. »Das wirst du nicht tun. Du wirst wieder zur Vernunft kommen.«
Giuliano schaute ihn lange an. »Ich liebe dich, Lorenzo«, sagte er ruhig. »Aber ich gehe.« Er drehte sich um und lief zur Tür.
»Gehst du mit ihr fort«, drohte sein Bruder, »kannst du vergessen, dass ich dein Bruder bin. Denk nicht im Traum daran, dass ich scherze, Giuliano. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Gehst du mit ihr fort, dann wirst du mich nie Wiedersehen.«
Giuliano schaute über die Schulter auf Lorenzo und hatte plötzlich Angst. Er und sein älterer Bruder
Weitere Kostenlose Bücher