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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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immer, Pferde wieherten, Männer fluchten, während andere Messer Iacopos aufrüttelnden Schrei von sich gaben.
    Ein entgegengehaltenes Palle! Palle! vernahm ich indes nicht.
    So viele Leiber huschten im flackernden Licht umher, dass es schwierig war, Freund von Feind zu unterscheiden. Hier gab es keine farbigen Banner, keine sauber aufgestellten Streitkräfte mit klar markierten Feinden und ordentlichen Lanzenreihen; erst recht gab es keinen Helden, der den Angriff führte. Ein Schwert zischte direkt hinter mir durch die Luft und verpasste um Haaresbreite mein bloßes Bein; ich spürte den Luftzug, den die Klinge hinterließ.
    Mein Pferd und ich machten einen Satz nach vorn; unser Platz wurde rasch von einem Bauern ausgefüllt.
    Den Soldaten, der hinter mir die Hiebe austeilte, konnte ich nicht sehen, wohl aber das Ergebnis seiner Hiebe. Die Klinge sauste nieder und biss sich mit dumpfem Laut zwischen Hals und Schulter in das Fleisch des Mannes. Der Bauer schrie so schrill und wild auf, dass es entsetzlich anzuhören war. Blut strömte aus der Wunde und breitete sich rasch als dunkler Fleck über Brust und Bauch aus, bis es sich mit den Schatten vermischte. Kreischend sank er auf die Knie, das Schwert steckte noch in ihm; der unsichtbare Soldat hatte Mühe, es herauszuziehen. Schließlich löste es sich mit schmatzendem Geräusch, fuhr dann noch einmal herab, diesmal auf den Kopf des Bauern, und zwar mit solcher Kraft, dass für den Bruchteil einer Sekunde ein blutiger Schleier, ein tödlicher roter Schein, losgelöst in einem Lichtstrahl hing.
    Der Mann fiel vornüber, die Hufe meiner Stute streifend.
    Ich drehte den Kopf um, schaute hinter mich und be-gegnete dem Blick des Mörders: ein Soldat der Medici, nicht einmal so alt wie Giuliano, die Augen in eigenartigem, unbestimmtem Entsetzen aufgerissen. Er bemerkte nicht, dass ich eine fein gekleidete, unbewaffnete Frau war oder dass ich aus dem Palazzo gekommen war. Er schien nur zu wissen, dass er sein Schwert erneut zu schwingen und zuzuschlagen hatte. Und jetzt war ich in seiner Reichweite.
    Ich duckte den Kopf und trieb die Stute zum Galopp an. Wir setzten durch die Menge; meine Knie und Ellenbogen stießen gegen Fleisch und Knochen, Metall und Holz.
    Bald kam ich frei und machte mich auf den Weg durch die Via Larga in östlicher Richtung, vorbei an der Loggia und dem Haupteingang des Palazzo, über dessen Schwelle Lorenzo mich vor wenigen Jahren geführt hatte. Wachen der Medici kämpften noch in kleinen, versprengten Gruppen, doch die großen Eingangstüren hatte man aufgegeben, und eine Gruppe Aufständischer versuchte gerade, sich mit einem schweren Holzbalken gewaltsam Eintritt zu verschaffen. Ich ritt durch die Gasse, die Giovanni genommen hatte, um der Menge auszuweichen, von dort an der Kirche San Lorenzo vorbei zum Baptisterium des Heiligen Johannes auf der Piazza del Duomo. Kleine Gruppen irrten durch die Straßen - drei Reiter, zwei Mönche, ein Vater und eine Mutter, die mit schreienden Kindern auf dem Arm fortliefen.
    Erst als ich den Duomo erreichte, zwang mich der zunehmende Strom Menschen, langsamer zu reiten. Plötzlich war ich vollständig von Männern umzingelt; zwei hatten brennende Äste bei sich. Sie hoben sie hoch, um mich besser sehen zu können.
    Es waren giovani, die zu einer Straßenbande gehörten.
    »Schöne Frau«, rief einer höhnisch. »Schöne Frau, reitet aus mit den Röcken bis an die Taille hochgekrempelt! Seht nur, die zarten Fußgelenke!«
    Ungeduldig warf ich ihnen einen finsteren Blick zu und schaute mich um. Zwar waren viele Menschen in Hörweite, doch das Läuten der Signoria-Glocke war hier viel lauter, und alle Welt rannte brüllend auf die Piazza. Es war nicht sicher, ob sie die Schreie einer einzelnen Frau hören würden.
    Ich wollte nicht schreien - noch nicht.
    »Lasst mich durch«, knurrte ich und zog den Dolch aus meinem Überkleid; er steckte noch in der Scheide.
    Die giovani lachten böse; es klang wie Hundegebell.
    »Seht nur!«, rief einer. »Ach, Lisa di Antonio Gherardi-ni zeigt Zähne!«
    Er hatte ein spitzes Kinn und dünne blonde Locken, die zur Kopfmitte hin ausdünnten.
    »Raffaele!« Erleichtert ließ ich den Dolch sinken. Es war der Sohn des Schlachters. »Raffaele, Gott sei Dank, ich muss vorbei ...«
    »Ich muss vorbei«, wiederholte Raffaele in spöttischem Singsang. Einer seiner Kumpane kicherte. »Seht sie euch gut an, Jungs. Sie gehört zu denen. Hat vor knapp zwei Tagen Giuliano de' Medici

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