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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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kalter Luft erfüllt hatte. Draußen war die Dämmerung hereingebrochen; im schwindenden Licht flackerten in der Ferne Fackeln. Sie kamen von Westen aus Richtung San Marco die Via Larga hinunter. Diejenigen, die sie hoch über dem Kopf hielten, schrien immer wieder laut:
    Palle! Palle! Palle!
    Ich starrte auf die vagen Schatten, die aus dem Dunkel Gestalt annahmen. Die meisten waren zu Pferd, ein paar gingen zu Fuß; es waren die Wohlhabenden mit ihren Dienern, wahrscheinlich Freunde und Familienangehörige aus den Palazzi an der Via Larga, einer Enklave der Medici. Der Fackelschein glänzte auf feinen, gezückten Schwertern, auf Goldketten und Juwelen. Sie nahmen ihren Platz neben den Männern ein, die vor dem Medici-Palast Wache standen.
    Palle! Palle!
    Aus der entgegengesetzten Richtung, von der Piazza della Signoria, näherte sich der Schrei Popolo e liberta! und nahm allmählich körperliche Formen an: Dunkle Gestalten, schwach erleuchtet von brennenden Lumpen, die um lange Stöcke oder Besenstiele gewunden waren.
    Abbasso le palle! Nieder mit den Kugeln!
    Scharfe Zinken von Mistgabeln, Spitzen eingekerbter, krummer Lanzen, die glatten Enden von Holzkeulen ragten in den dunkler werdenden Himmel.
    Kurz bevor die beiden Trupps sich trafen, tauchte ein neues Kontingent aus den Reihen der Medici-Anhänger auf. Von Weitem konnte ich keine Gesichter ausmachen -nicht einmal das des Reiters mit einer Laterne, die seine Gesichtszüge erhellte. Doch ich erkannte das Scharlachrot seines Umhangs, seine breiten Schultern und seine würdevolle Haltung: Giovanni ritt langsam hinaus, umgeben von einem Pulk bewaffneter Soldaten.
    »Palle!«, schrie er der nahenden Bedrohung mit prächtiger Donnerstimme entgegen. »Gute Bürger von Florenz, hört mich an!«
    Allein die guten Bürger von Florenz wollten ihm nicht zuhören. Ein Stein flog durch die Luft und traf Giovannis Rappen an der Schulter, der daraufhin scheute. Giovanni gelang es, das Tier zu beruhigen, aber er fasste einen Entschluss: Statt den Gegner frontal anzugreifen, galoppierten der Kardinal und seine Mannen lieber durch eine Gasse nach Norden.
    Ich konnte nur beten, dass er nach wie vor zur Piazza strebte.
    Während Giovanni und seine Männer aus meinem Blickfeld verschwanden, drangen die wütenden Bürger vor. Es schienen unendlich viele zu sein, die sich im Dämmerlicht ausbreiteten, so weit mein Auge reichte. Dem Fußvolk schlossen sich wohlhabendere Medici-Gegner zu Pferd an, die Streitkolben, stabile Lanzen, Schwerter und türkische Krummsäbel trugen.
    Wohl wissend, dass sie in der Minderheit waren, ritten viele Anhänger der Medici fort und überließen es den Palastwachen, allein zu kämpfen.
    Ich sah gespenstische Silhouetten und vernahm grässliche Geräusche:
    Ein Bauer wurde von der Lanze eines Soldaten durchbohrt und in die Höhe gehoben; ein Kaufmann sank auf die
    Knie, als ein Streitkolben ihm den Schädel zerschmetterte. Ein gestürzter Wachmann schrie heiser auf, als ein Bauer ihn mit einer Mistgabel aufspießte. Ein anderer Aufständischer bückte sich, hob die herabgefallene Fackel auf und setzte den Leichnam in Brand.
    Uccellos Gemälde vermochte die Gerüche, den Lärm, die Eile und das Chaos nicht einzufangen. Er hatte den Krieg als prächtiges Bild dargestellt; ich hingegen erlebte ihn als schieren Wahnsinn.
    Unter mir ertönten wütende Schläge, die durch das ganze Haus hallten - Metall und bloße Hände, die gegen die Tür hämmerten. Ein paar Aufständische waren also bis an die Tür vorgedrungen.
    Laura war nicht erschienen; da wusste ich, dass sie auch nicht mehr kommen würde. Ich beschloss aufzubrechen, doch als ich mich gerade vom Fenster abwenden wollte, wurde ich auf ein wildes Getümmel in der nächsten Gasse aufmerksam. Die schnellen Reiter hielten Fak-keln und Laternen hoch, um in der zunehmenden Dunkelheit den Weg ausmachen zu können. Dicht hinter ihnen folgte eine wütende, tobende Menge. Die Hoffnung, es wäre Giuliano, packte mich. Ich lehnte mich noch weiter aus dem Fenster. Als sich die Gruppe dem Getümmel vor dem Palazzo näherte, erkannte ich Giovanni. Erst als er direkt unter mit war, verstand ich seine verzweifelten Schreie.
    »Sagt euch los von ... Piero ... Popolo e liberta!«
    Und die wütenden Bürger, die ihn bis hierher gejagt hatten, die Bürger, die ihn und seine Wachen mit Steinen bewarfen, riefen ganz zu Recht: Verräter! Verräter!
    Ich lief vom Fenster weg, hob die Röcke und rannte die Treppe hinunter,

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