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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Giuliano rufen. Der Reiter aber drückte mich fest nach unten.
    Als wir die Piazza überquerten, machte sich Erregung rasch wie ein Blitzschlag in der Menge breit. Schrille, wilde Rufe wurden laut.
    »Seht - da geht er hin, der Bastard!«
    »Da oben! Das dritte Fenster! Seht, wie er baumelt!«
    »Abbasso le Palle! Tod den Medici!«
    Ich zappelte wie ein Fisch am Haken, strampelte und trat aus, meine Haare fielen mir über die Augen; ich krallte mich hinein und versuchte, aus meiner Lage kopfüber etwas zu erkennen, aber es nutzte nichts. Ich konnte nur schattengleiche Gestalten ausmachen, dicht aneinandergedrängt.
    Panik überkam mich bei dem Gedanken an Francesco de' Pazzi, der nackt an einem hohen Fenster gehangen hatte, die Zähne der Leiche von Erzbischof Salviati tief in seiner Schulter vergraben. Ich dachte an meinen Vater, wie er sagte: Achtzig Männer in fünf Tagen ... aus den Fenstern des Palazzo della Signoria gehievt.
    Kraftlos ließ ich mich hängen. »Giuliano«, flüsterte ich, wohl wissend, dass mich in diesem Tumult niemand hören würde. »Giuliano«, wiederholte ich und brach in Tränen aus.
    Man brachte mich in eine Zelle des Bargello, des Gefängnisses neben dem Palazzo. Meine Zelle war klein und schmutzig, fensterlos mit dreckigem Boden und drei Wänden, in deren Ecken silbrige Spinnweben hingen. Die vierte Wand bestand aus einer Steinmauer, die mir bis zur Taille reichte, darauf dicke, grobe Eisenstäbe bis an die Decke; die Tür war aus Eisen. Auf dem Boden war etwas Stroh verstreut, und in der Mitte des Raums stand ein großer Holzeimer, der als Abort diente. Der Raum selbst hatte kein Licht, sondern war auf die Fackeln draußen im Korridor angewiesen.
    Wir waren zu dritt: ich, Laura und eine Dame, die dreimal so alt war wie ich, in verblüffende auberginenfarbene Seide und Samt gekleidet. Ich glaube, sie war eine Torna-buoni - die Adelsfamilie, zu der Lorenzos Mutter gehörte.
    Als der Wächter mich - unter Schmerzen ächzend - in die Zelle schaffte, gab ich vor, Laura nicht zu kennen. Noch Stunden nachdem der Mann hinausgegangen war, sahen wir uns nicht an.
    In der ersten Nacht beachtete man uns nicht. Der Gendarm, der mich gebracht hatte, verschwand. Nach geraumer Zeit hörte die Glocke - betäubend nah im Campanile nebenan - endlich auf zu läuten. Mein Dank hielt nicht lange an. Danach hörten wir, wie die Menge draußen plötzlich still wurde . um dann, nach kurzem Schweigen, in wilden Jubel auszubrechen.
    Ich bildete mir ein, das Geräusch des Seils zu hören, wenn es sich spannt.
    Die Tornabuoni, weiß und zart wie eine Perle, wand ein Taschentuch in den Händen und weinte ununterbrochen. Ohne auf die Spinnen zu achten, lag ich zusammengesunken in einer Ecke, die verletzten Beine von mir gestreckt, bedeckt von meinen zerrissenen Röcken. Laura saß neben mir, die Knie angezogen, einen Arm darumgeschlungen. Als die Menge kurz still geworden war, fragte ich leise: »Giuliano ...?«
    Ihre Antwort kam gequält. »Ich weiß nicht, Madonna, ich weiß es nicht .«
    Wieder ertönte ein Ruf aus vielen Kehlen, worauf wir beide zusammenfuhren.
    Am Morgen holten sie Laura und brachten sie nicht wieder zurück.
    Ich redete mir ein, im aufgeklärten Florenz würde man Frauen niemals hinrichten, es sei denn, sie wären die übelsten Mörderinnen . oder Verräterinnen. Bestimmt hatten sie Laura laufen lassen, schlimmstenfalls war sie verbannt worden.
    Ein gewisses Maß an Trost bezog ich aus der Tatsache, dass die Menge draußen nicht mehr in Jubelgeschrei ausbrach. Die Ruhe konnte nur eines bedeuten - dass das Morden vorbei war.
    Unsicher erhob ich mich und sog ob der Schmerzen in meiner steifen Schulter scharf die Luft ein. Die leiseste Bewegung verursachte ein qualvolles Stechen. Meine Gliedmaßen waren taub vor Kälte; die Steinwände und der Boden waren eisig. Viel mehr beunruhigte mich jedoch, dass ich meinen Ehering und das zweite Goldmedaillon verloren hatte.
    Ich ging an der Tornabuoni vorbei und stellte mich an die verrostete Eisentür. Die Frau hatte aufgehört zu weinen und schwankte nun auf den Beinen, nachdem sie fast die ganze Nacht gestanden hatte; ihre Augen waren wie zwei Prellungen im weißen Gesicht, das sich von ihrem dunkelroten Gewand abhob. Ich schaute sie an und bekam einen Blick voller Hoffnungslosigkeit und Zorn zurück; rasch wandte ich mich ab.
    Ich lauschte auf die Wache. Während Laura bei mir ge-wesen war, hatte ich Giulianos Namen nicht aussprechen wollen, um sie

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