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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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schon verheiratet, mit Giuliano de' Medici.«
    Er schnaubte leise und verächtlich; sein Blick war unbarmherzig. »Giuliano de' Medici«, sagte er mit tonloser Stimme, »ist tot. Vom Pferd geworfen, als er den Ponte Santa Trinita überquerte, und anschließend im Arno ertrunken.«
50
    Er musste nach mir gesucht haben. Er musste sich von der feindlichen Menge auf der Piazza della Signoria gelöst und seinen Weg in den Palazzo Medici gefunden haben. Vielleicht war Piero bereits fort, vielleicht auch nicht - doch Giuliano musste irgendwie auf den Gedanken gekommen sein, dass ich wieder in mein Vaterhaus zurückgekehrt war.
    Ser Francesco sagte, eine Wachpatrouille habe seine Leiche aus dem Fluss gefischt. Sie sei umgehend zu den Prio-ren gebracht worden, die sie identifizierten und draußen vor der Stadt beisetzten, noch ehe jemand Gelegenheit hatte, den Leichnam zu schänden. Die Stelle des Grabes wurde geheim gehalten, aus Furcht, eine Suche nach den Überresten könnte einen neuerlichen Aufstand entfachen.
    Ich kann nicht sagen, was ich dann tat. Ich kann es nicht sagen, weil ich es nicht mehr weiß. Es heißt, Gott in seiner Weisheit lasse Mütter die Schmerzen der Geburt vergessen, damit sie sich nicht vor einem nächsten Kind fürchten. Mag sein, dass ER das für mich getan hat, damit ich keine Angst davor hatte, wieder zu lieben.
    Das Einzige, was mir von jenem Abend wieder einfällt, ist der Zeitpunkt, an dem ich meinen Vater begrüßte. Es dämmerte, und Rauchschwaden verdunkelten den Himmel noch mehr. Die Piazza della Signoria war leer, bis auf eine einsame Kutsche und von der Signoria eingesetzte Soldaten, die zu Fuß und hoch zu Ross patrouillierten.
    Auf die morbiden Porträts der Verschwörer Francesco de' Pazzi, Salviati und Baroncelli hatte jemand dunkle Farbe gespritzt. Während ihre beschädigten, lebensgroßen Bildnisse auf uns herabblickten, klammerte ich mich an Ser Francescos Unterarm und stakste die Treppe vor dem Palazzo hinunter in eine entsetzliche, neue Welt.
    Am Fuße der Treppe stand die Kutsche - bestellt von Ser Francesco und belegt von meinem Vater - mit weit geöffneter Tür. Während Ser Francesco mir auf der Treppe Halt gab - die Hand an meinem Ellenbogen, sein Blick plötzlich scheu wie bei einem Jungen zu Beginn der Brautwerbung -, sagte er: »Ich habe dafür gesorgt, dass etwas zu essen und zu trinken für Euch bereitsteht.«
    Ich schaute ihn einfach nur an, noch immer viel zu betäubt, um zu reagieren. Ich hatte einen Tag lang nichts gegessen, doch allein der Gedanke, jetzt etwas zu mir zu nehmen, war geschmacklos. Ich wandte mich ab und stieg in die Kutsche.
    Mein Vater saß, eine Schulter fest an die Innenwand gedrückt, sein Körper diagonal zusammengesackt; behutsam hielt er die Hand an eine Seite. Die Haut über seinen Wangenknochen war gespannt, violett und so angeschwollen, dass ich sein Auge nicht sehen konnte. Und seine Hand .
    Sie hatten ihm Daumenschrauben angelegt. Sein rechter Daumen, der im rechten Winkel von der Hand abstand, war dick wie eine Wurst; der Nagel war ab, und an seiner Stelle befand sich eine offene, rot-schwarze Wunde. Dasselbe war mit dem Zeigefinger geschehen, der ebenso grotesk angeschwollen war und gerade abstand, senkrecht zum Daumen.
    Als ich ihn erblickte, brach ich in Tränen aus.
    »Tochter«, flüsterte er. »Gott sei Dank. Mein Liebling, mein Kind.« Ich setzte mich neben ihn und schlang beide Arme um ihn, wobei ich sorgfältig darauf achtete, nicht an die verletzte Hand zu stoßen. »Verzeih.« Die Stimme versagte ihm. »Verzeih mir. Oh, es tut mir so leid ...«
    Als er diese Worte ausstieß, schmolz all mein Widerstand gegen ihn, all meine Wut auf ihn dahin.
    »Es tut mir leid, verzeih mir .«
    Ich verstand. Er bedauerte nicht nur unsere gegenwärtige Lage oder das Versprechen, dass ich zwangsläufig Ser Francesco hatte geben müssen, um ihn, meinen Vater, freizubekommen. Alles tat ihm leid: dass er meine Mutter geschlagen hatte, dass er sie mit nach San Lorenzo genommen hatte, dass Fra Domenico sie umgebracht hatte, dass er nicht für sie eingetreten war. Mein trauriger Hochzeitstag tat ihm leid, die Angst, die ich in der Nacht zuvor um ihn auszustehen hatte, und das Mitleid, das ich jetzt für ihn empfand.
    Am meisten tat es ihm aber um Giuliano leid.
    Am nächsten Morgen, als ich in Sicherheit im eigenen Bett wach wurde, stand Zalumma neben mir und schaute auf mich herab. Ihr Blick war so zurückhaltend und verschwörerisch zugleich,

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