Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
Wenn es getrocknet ist, werde ich diese Skizze darauf übertragen.«
»Ihr kopiert sie?«
»Dazu bin ich viel zu faul. Ich nehme den cartone, befestige ihn auf dem Gips und streue pulvrige Holzkohle darüber. Auf diese Weise geht es sehr schnell. Dann fangen wir mit dem Gemälde an. Und das machen wir, wenn wir uns das nächste Mal sehen, falls das Schicksal es zulässt.« Er seufzte leise. »Bitte, trinkt noch etwas Wein, Madonna.«
»Ihr versucht, mich betrunken zu machen«, sagte ich. Das war scherzhaft gemeint, doch als ich seinem Blick be-gegnete, lächelte er nicht.
»Wir haben genug schwierige Themen, über die wir reden müssen, meint Ihr nicht?«
Als Antwort trank ich einen ordentlichen Schluck von dem billigen Wein. Er schmeckte leicht sauer. »Warum reden wir dann nicht darüber? Ich bin es leid, zufrieden und engelsgleich auszusehen.« Ich schaute zu ihm auf. »Ihr habt mich nicht hierher holen lassen, nur um mein Porträt zu malen oder von glücklicheren Zeiten zu sprechen.«
Seine Stimme wurde düster. »Nun gut. Sagt mir die Wahrheit, Madonna. Ich . habe Euch mit Francesco del Giocondo gesehen .«
Er wollte noch mehr sagen, doch ich unterbrach ihn. »Wann?«
»Bei der Taufe Eures Kindes.«
So war das also. Er hatte zugesehen, als Salai mir die Notiz zukommen ließ.
Er fuhr fort. »Liebt Ihr ihn?«
Sein Tonfall war verbittert. Meine Wangen brannten; ich schaute zu Boden.
Er stieß einen kaum hörbaren Seufzer aus und wurde milder. »Täusche ich mich, oder ist Eure Beziehung zueinander angespannt - zumindest, was Euch betrifft?«
Ich hob den Kopf. »Woher wisst Ihr das?«
Meine Gegenfrage schien ihn zufriedenzustellen. »Durch zufällige Beobachtung. Es ist sehr schwierig, Gefühle vollkommen zu verbergen. Und in Euren Gesten habe ich nicht viel Zuneigung entdeckt. Nicht zum ersten Mal habe ich solche . Bekümmertheit zwischen Mann und Frau festgestellt.« *
»Ich ...« Schuldgefühle überkamen mich. Mir fielen jene schrecklichen Tage ein, als ich mich Matteo zuliebe Francesco hingegeben hatte, als ich zugelassen hatte, als Hure beschimpft zu werden. »Mein Vater war inhaftiert worden. Francesco erbot sich, ihn zu retten, falls .«
Ich brachte den Satz nicht zu Ende. Er nickte, um anzu-deuten, dass es nicht nötig war. »Dann muss ich Euch fragen, ob Ihr noch zu Giuliano haltet. Zu den Medici.«
Plötzlich begriff ich. Er hatte keine andere Möglichkeit gehabt zu erfahren, dass ich zu der Ehe mit Francesco gezwungen worden war; er konnte nicht wissen, ob ich in Francescos politische Pläne eingeweiht war, ob ich sie billigte.
»Nie würde ich Giuliano betrügen! Ich habe ihn geliebt .« Ich legte eine Hand an meine Wange.
Reglos stand er vor der Staffelei, die Holzkohle über der Zeichnung erstarrt. »Liebt Ihr ihn nicht mehr?«
»Doch«, sagte ich. Tränen traten mir in die Augen und flossen über; ich hielt sie nicht auf. »Gewiss. Als er starb, wollte auch ich sterben, ich hätte auch Hand an mich gelegt, wenn nicht ich sein Kind unter dem Herzen getragen hätte .« Panik überfiel mich bei meinem unbeabsichtigten Eingeständnis. »Das dürft Ihr niemandem sagen - nicht einmal Salai! Wenn Francesco das je erfahren sollte, würde er ihn mir wegnehmen .«
»Giuliano ... tot.« Ganz langsam legte er die Holzkohle auf den kleinen Tisch, ohne hinzusehen. »Nur wenige haben das gehört. Die meisten glauben, dass er noch lebt.«
»Nein. Francesco hat es mir gesagt. Seine Leiche wurde im Arno gefunden . Die Prioren haben sie heimlich vor den Stadtmauern begraben. Sie hatten Angst, weil sie ja wussten, was mit Messer Iacopo passiert war.«
Er verdaute meine Worte. »Ach so. Das erklärt vieles.« Einen langen, unangenehmen Moment schwieg er - einen Moment, in dem ich bemüht war, mich zu fangen und all den Kummer zu unterdrücken, den ich nie zum Ausdruck gebracht hatte. Dann sagte er vorsichtig: »Ihr haltet also noch zu den Medici. Ihr würdet nicht davor zurückschrek-ken, Piero dabei zu helfen, Florenz zurückzuerobern? Und Ihr könnt den Mund halten?«
»Ja, auf beide Fragen. Ich würde alles tun - solange es meinem Sohn Matteo nicht schadet.« Ich wischte mir die Tränen ab und schaute zu ihm auf. Sein Blick war besorgt, doch die Schranke zwischen uns begann zu zerfallen.
Er hatte es nicht gewusst. Er hatte nicht gewusst, dass Giulianos Tod mir bekannt war. Vielleicht hatte er mich für fähig gehalten, ihn zu verraten und Francesco zu heiraten, obwohl ich wusste, dass mein
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