Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
mir mein närrisches Gerede.«
    »Es ist kein Gerede. Es klingt wie Poesie.«
    »Ihr wisst, wie schön sie war.«
    »Ja.«
    »Stellt sie Euch noch hundertmal schöner vor. Stellt Euch vor, sie wäre von innen her beleuchtet. Ich wollte sie so gern malen, aber . Giuliano wurde ermordet, gewiss. Und dann wurde Anna Lucrezia krank.«
    »Sie war nicht krank«, sagte ich. »Ihr Mann konnte keine Kinder zeugen. Er hat sie geschlagen, als er erfuhr, dass sie schwanger war.« Es war eigenartig, so distanziert von meinem Vater zu sprechen, so kalt, obwohl ich ihn doch trotz all seiner Sünden liebte.
    Leonardos Augen flackerten vor Wut und Schmerz, als wäre er selbst geschlagen worden. »Dann hat er es also von Anfang an gewusst.«
    »Ja.«
    Es dauerte eine Weile, bis er sich gefangen hatte. »Das tut mir leid. An jenem Abend hatte ich beschlossen, Eure Mutter zu malen. Ich wollte dieses schöne Wesen einfangen und genauso freudig wiedergeben. So zufrieden. So wie sie damals war, als sie zu Giuliano ging, nicht so, wie sie dann wurde. Sie besaß eine natürliche Ausstrahlung -und Ihr habt sie auch, Madonna Lisa. Ich sehe sie in Euch. Und wenn es mir erlaubt wäre, sie festzuhalten .« Er unterbrach sich. »Ich weiß, es ist furchtbar ungeschickt, Euch jetzt Modell sitzen zu lassen, aber ich habe die Launenhaftigkeit des Schicksals erfahren. Sie war in jener Nacht bei Giuliano; sie war glücklich. Und am nächsten Tag war er tot. Wer weiß, wo Ihr oder ich morgen sein werden?«
    Er hätte vielleicht noch mehr gesagt, um seinen Standpunkt darzulegen, doch ich brachte ihn zum Schweigen, als ich meine Hand auf seinen Unterarm legte. »Wo«, fragte ich, »soll ich mich hinsetzen?«
    Zunächst sollte ich einen Blick auf die Holzkohles kizz e auf
    der Staffelei werfen, den cartone, wie er es nannte. Sie war nach der Zeichnung entstanden, die er im Garten von Santo Spirito nach Lorenzos Begräbnis angefertigt hatte. Ich schaute nicht mehr über meine unvollendete Schulter auf den Künstler, wie es in der Silberstiftzeichnung der Fall gewesen war; jetzt saß ich und hatte das Gesicht ganz dem Betrachter zugewandt, Schultern und Oberkörper nur leicht gedreht. Ich war nicht mehr nur ein Kopf mit der leisesten Andeutung von Schultern und Kopfschmuck; meine langen Haare fielen ungehindert herab wie bei einem jungen Mädchen. Ich hatte ein Dekolletee, das den Zorn von Savonarolas aggressiven Cherubim heraufbeschworen hätte. Man sah meine Hände und so viel vom Oberkörper, dass meine sitzende Haltung daraus hervorging.
    Während ich neben Leonardo stand und die Zeichnung auf der Staffelei betrachtete, schaute er mich an, machte kurz seiner Verärgerung Luft und nahm sogleich eine Hühnerfeder von dem kleinen Tisch und ließ sie ganz zart über das Papier gleiten. Der Rand der Feder wurde dunkel; die Holzkohle darunter verschwand.
    »Setzt Euch«, sagte er völlig aufgewühlt. »Das Kinn. Ich muss es richtig hinbekommen.«
    Ich setzte mich. Die Feder noch in der Hand, folgte er mir und richtete mich mit akribischer Umständlichkeit aus: das Kinn ganz gerade, ohne Neigung nach oben oder unten, der Kopf in präzisem Winkel zum Körper gedreht. Vorläufig kümmerte er sich noch nicht um die Ausrichtung meiner Hände. Tatsächlich reichte er mir meinen Weinkelch und bestand darauf, dass ich einen Schluck trank, bevor er anfing.
    Während er seinen Fehler gänzlich korrigierte, saß ich schweigend da; dann nahm er die an einem Holzstab befestigte Holzkohle zur Hand und überarbeitete das Kinn mit schwungvoller, geschickter Handbewegung. Anschließend betrachtete er mich unverwandt und verglich meine Nase mit der Zeichnung, mein rechtes Auge, mein linkes, beide Augenbrauen. Ich wurde unruhig und ließ den Blick wandern: Er fiel auf die Wand neben der Staffelei - auf ein kleines Holzbrett, das mit Kalk überzogen war und trocknete. Daneben lag ein scharfes Holzstück, das offenbar benutzt worden war, um die Oberfläche der Holzplatte glatt zu schaben.
    »Werdet ihr das benutzen - für das Gemälde?«, fragte ich.
    Er legte die Stirn in Falten, ungehalten über die Unterbrechung. »Ja. Es muss noch ein paar Tage trocknen.«
    »Besteht die Oberfläche nur aus Kalk?«
    »In gewisser Weise ist es Kalk, ja«, sagte er. »Sehr feiner gesso sottile, Kalk aus Paris mit einigen meiner eigenen Verfälschungen. Zuerst kommt das weiße Pappelholz. Darauf wird gutes Leinen geklebt, als Grundlage für den Gips. Dieser wird glatt wie Elfenbein aufgetragen.

Weitere Kostenlose Bücher