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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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gering, da die meisten Kirchgänger inzwischen San Marco mit seinem berühmten Prior vorzogen, oder San Lorenzo, wo er häufig predigte.
    Sobald das Ritual beendet war, erhob ich mich und eilte zum nördlichen Ende der Kathedrale, an dem die größte Sakristei lag - der Raum, in den sich der junge Lorenzo an dem Morgen, als sein Bruder ermordet wurde, in Sicherheit brachte. Die Bronzetüren waren graviert, sehr hoch und so schwer, dass sie sich kaum bewegten, als ich sie öffnen wollte.
    Gerade als ich zum zweiten Versuch ansetzte, vernahm ich hinter mir Schritte und drehte mich um. Zwei Priester
    - ein junger und ein grauhaariger, ausgezehrter - kamen mit dem goldenen Abendmahlskelch und der Kristallkaraffe für den Messwein auf die Sakristei zu.
    »Wie das«, fragte der Ältere. »Braucht Ihr priesterlichen Beistand, Madonna?« Er klang reserviert; es war ungewöhnlich für eine Frau, sich allein in der Nähe der Sakristei aufzuhalten, doch da ich offensichtlich aus guter Familie stammte, war er höflich.
    Ich musste mich räuspern, bevor ich die Worte herausbekam. »Gian Giacomo hat mich beauftragt, hierher zu kommen.«
    »Wer?« Misstrauisch legte er die Stirn in Falten.
    »Gian Giacomo«, wiederholte ich. »Er sagte, Ihr wüsstet Bescheid.«
    Er schüttelte den Kopf und tauschte einen raschen, nervösen Blick mit seinem Begleiter. »Verzeiht, Madonna, aber dem ist nicht so. Warum sollte Euch jemand hierher schicken?«
    »Gian Giacomo«, sagte ich lauter. »Vielleicht ist ein anderer Priester hier, der mir helfen kann .«
    Jetzt runzelten beide Priester die Stirn. »Wir kennen niemanden mit diesem Namen«, sagte der Priester entschieden. »Verzeiht, Madonna, aber wir haben zu tun.« Mit der freien Hand drückte er die schwere Tür auf, ließ seinen Gefährten hindurch, trat selbst ein und schlug sie mir vor der Nase zu.
    Ich schritt noch eine Weile auf und ab in der Hoffnung, ein anderer Priester könnte vorbeikommen. Hatte denn niemand die Botschaft erhalten? War Piero gefangen genommen worden? Leonardo hatte doch keinen Grund, mich in eine Falle zu locken .
    Die Priester tauchten wieder aus der Sakristei auf und stellten fest, dass ich noch immer da war. »Geht nach Hause!«, befahl der Jüngere empört. »Geht nach Hause zu Eurem Gatten!«
    »Das gehört sich nicht, Madonna«, sagte der Ältere. »Warum seid Ihr hierher gekommen und habt nach einem Mann gefragt? Wo ist Eure Begleitung?«
    Da ging mir auf, man könnte vermuten, Gian Giacomo sei der Name meines Geliebten, den ich zu einem Stelldichein treffen wollte. In jenen Tagen unter Savonarolas Herrschaft war eine Anklage wegen Ehebruchs ebenso gefährlich wie meine wahre Mission; ich entschuldigte mich und eilte aus der Kirche.
    Mutlos und wütend fuhr ich nach Hause. Leonardo hatte mich gerade zum Narren gehalten, und ich hatte keine Ahnung, warum.

58
    Sobald ich zu Hause war, ging ich geradewegs ins Kinderzimmer und setzte mich hin, Matteo in den Armen. Ich wollte Zalumma nicht sehen, nicht ihren forschenden Blik-ken ausgesetzt sein, solange ich wütend war und geneigt, zu reden. Ich befahl der Amme zu gehen und wiegte meinen Sohn. Als Matteo die Hand ausstreckte und mich an einer Haarsträhne zog - so fest, dass es wehtat -, erlaubte ich mir, ein paar Tränen zu vergießen.
    Bisher war mir noch nicht bewusst geworden, wie stark mein Wunsch war, etwas zu tun, um Giulianos Andenken zu ehren. Seit seinem Tod hatte ich zwangsläufig Stillschweigen über ihn wahren und so tun müssen, als hätte meine Ehe mit ihm nie existiert. Nun waren meine Hoffnungen zu einem hässlichen Witz verkommen.
    Ich war fast eine Stunde allein mit meinem Sohn gewesen, als Zalumma leise eintrat und neben der Tür stehen blieb. »Ich dachte, Ihr habt vielleicht Hunger«, sagte sie sanft.
    Ich schüttelte den Kopf. Sie drehte sich um und wollte gehen, hielt dann jedoch inne und schaute zur Tür hinaus, um sich zu vergewissern, dass niemand im Flur stand.
    »Jemand hat einen Brief abgegeben«, sagte sie rasch. »Er liegt auf dem Tisch neben Eurem Bett. Elena oder Isabella werden ihn bestimmt bald entdecken.«
    Wortlos reichte ich ihr Matteo, ging in mein Zimmer und machte die Tür hinter mir zu.
    Das Papier war reinweiß mit sauber geschnittenen Rändern, und bevor ich es entfaltete, wusste ich schon, dass es vollkommen leer sein würde.
    Der Morgen war kalt gewesen, und im Kamin brannte noch ein schwaches Feuer. Ich ging hinüber und hielt das Papier nahe an die Flammen. Ich

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