Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
bestehen. Auf jeden Fall kann die Signoria nicht allzu viel Ärger bereiten. Infolge unserer neuerlichen Bedrohung ist es uns gerade vor kurzem noch gelungen, einen Rat der Acht einzurichten.«
Mein flackernder Blick wanderte auf die Mahlzeit vor mir. Ich wusste, dass er Piero meinte; vielleicht sprach er den Namen meines Schwagers nicht laut aus, weil er fürchtete, mich zu kränken.
»Acht?«, fragte mein Vater im Plauderton.
»Acht Männer, gewählt, um die Stadt gegen die Bedrohung unter Polizeigewalt zu halten. Sie werden besonders auf Bernardo del Nero und seine Bigi -Partei ein Auge haben. Und sie werden strenge Maßnahmen ergreifen, um jegliche Spionage zu unterbinden. Alle Briefe, die von und nach Florenz gehen, werden abgefangen und gelesen. Die Unterstützer der Medici werden feststellen, dass die ihnen vertrauten Wege abgeschnitten sind.«
Ich widmete mich dem gebratenen Hasenstück auf meinem Teller. Korn war noch immer teuer, und Agrippina -nach jenem schrecklichen Tag auf der Piazza del Grano zog sie nunmehr ein lahmes Bein nach - verließ sich auf ortsansässige Jäger, die unsere Speisekammer auffüllten. Ich zupfte das Fleisch von den Knochen, aß aber nichts.
»Was hält Fra Girolamo davon?«, wagte mein Vater zu fragen. Ich war überrascht, dass er die Frage stellte. Jeden Tag hörte er sich die Predigten des Mönchs an; zuweilen redete er nach dem Gottesdienst mit ihm. Er hätte es doch bestimmt gewusst.
Francesco war kurz angebunden. »Er hat es sogar vorgeschlagen.«
Schweigend beendeten wir die Mahlzeit. Francescos verbindliches Lächeln tauchte nicht ein Mal auf.
An jenem Abend verließ ich Zalumma, um in Francescos Arbeitszimmer zu gehen. Ich war froh, dass mein Gemahl nach seinem Versuch, mich zu schwängern, mein Zimmer nicht mehr betreten hatte; offenbar empfand er großen Abscheu vor sanktionierter Intimität.
Der Frühling ging zu Ende, und das Wetter war angenehm; alle Fenster standen offen, und die Luft war belebt vom Duft der Rosen und dem Summen der Insekten. Doch ich fand keinen Gefallen an der Schönheit der Nacht; ich konnte nicht schlafen bei der Aussicht, dass es Piero vielleicht nie gelingen würde, die Stadt einzunehmen, dass ich alt werden und mit Francesco in einer Stadt sterben würde, die von einem Wahnsinnigen regiert wurde.
Ich trat in das Arbeitszimmer meines Gemahls - es war dunkel bis auf die Lampe, die im angrenzenden Raum flak-kerte - und schloss rasch den Schreibtisch auf in der Erwartung, nichts zu finden und leise wieder zu Bett zu gehen.
Dort in der Schublade aber lag ein Brief, den ich noch nicht gelesen hatte. Das Siegel war frisch aufgebrochen. Ich runzelte die Stirn; lieber wäre mir gewesen, wenn ich nichts gefunden hätte. Ich war nicht in der Stimmung, Pieros Misserfolg mit Salai zu besprechen. Doch ich war verpflichtet, ihn an mich zu nehmen, ins Schlafgemach meines Gemahls zu schleichen - da kein Feuer im Arbeitszimmer brannte - und ihn an die Lampe zu halten.
Allem Anschein nach verurteilt unser Prophet Rom noch immer vehement von der Kanzel herab. Seine Heiligkeit ist ungehalten, und an diesem Punkt kann ich nicht mehr viel tun, ihn zu beschwichtigen. Unser gesamtes Vorhaben gerät ins Wanken! Wem soll ich diesen ungeheuerlichen Misserfolg in die Schuhe schieben? Dem Propheten freie Hand gegen die Medici zu lassen war meine Absicht - wie konntet Ihr das missverstehen? Wie Ihr wisst, habe ich jahrelang daran gearbeitet, Zugang zum Papst zu bekommen, mir sein Vertrauen zu sichern ... und jetzt macht Ihr das alles zunichte? Oder soll ich Euch im Zweifelsfall nur Gutes unterstellen und es Antonio zuschreiben? Wenn der Prophet wirklich auf ihn hört, muss er überzeugend sein. Ermahnt ihn, seine ganze Überredungskunst aufzuwenden. Gelingt es ihm nicht - weil der
Prophet ihm nicht mehr vertraut oder weil er seine Entschlossenheit eingebüßt hat -, liegt es an Euch, ob Ihr auf seine Dienste gänzlich verzichtet oder ob Ihr Euch der Tochter und des Enkels bedient. Ich füge mich dem, was Ihr in dieser Hinsicht vorzieht, da Ihr wohl kaum eine uneigennützige Partei seid. Falls Antonio verzagt, verlasst Euch wie schon vor langer Zeit auf Domenico, der unter Beweis gestellt hat, dass er alles tun kann, was zu tun ist.
Wenn Papst Alexander tatsächlich gegen den Mönch vorgeht, haben wir keine andere Wahl, als auf äußerste Maßnahmen zurückzugreifen. Vielleicht müssen Bernardo del Nero und seine Bigi als Exempel für die Bevölkerung
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