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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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zweistöckige bottega oder das Haus eines kleineren Kaufmanns - und bestand aus acht Lagen, die wie eine große, provisorische offene Treppe zusammengenagelt waren, sodass Kinder leicht von unten nach oben steigen konnten. Auf der Spitze stand ein mit Stroh ausgestopftes Bildnis des dicken Königs Karneval mit einem bemalten Kopf aus Leinen. Sein Gesicht war nicht das des wohlwollenden Monarchen, das ich in der Vergangenheit an Karneval gesehen hatte, sondern das eines grauenhaften Dämonen mit hervorstehenden Fangzähnen und blutunterlaufenen Augen.
    Auf den frisch errichteten, nicht angestrichenen Holzschichten war eitler Tand zusammengetragen, der in den vorangegangenen Monaten von den kleinen Soldaten des Mönchs gesammelt worden war: goldene Ketten, ganze Haufen von Perlen, Stapel von besticktem Samt, Satin und Seidenschals, vergoldete Handspiegel, silberne Haarbürsten und Kämme, Haarnetze aus gesponnenem Gold, gefranste Gobelins, Perserteppiche, Vasen und Keramikwaren, Skulpturen und Gemälde. Statuen von Zeus, Mars,
    Apollon, Eros, Athene, Hera, Artemis, Venus und Herkules, dem Symbol für die Stärke von Florenz. Unzählige Gemälde auf Holz, Leinen und Stein; Silberstiftzeichnungen, Skizzen aus roter Kreide, Bleistift und Tinte. Die darauf dargestellten Verbrechen waren überall dieselben: heidnische Themen und Nacktheit. Ich kam mir vor wie damals, als ich zum ersten Mal Lorenzos Arbeitszimmer betrat: ehrfürchtig vor der bloßen Fülle von Schönheit und Wohlstand.
    Trompeten erklangen; Lauten wurden angeschlagen. Francesco stieß mich an und deutete mit einem Kopfnicken auf das Gemälde, das ich in Händen hielt.
    Neben anderen prominenten Bürgern, die darauf bedacht waren, öffentlich Frömmigkeit zu zeigen, trat ich an den Scheiterhaufen. Die Lagen waren überfüllt mit Gegenständen, die rohen Planken mit Terpentin getränkt; ich wandte das Gesicht vom Gestank ab und klemmte Nanni-nas Porträt seitlich zwischen zwei hohe, schwere Kerzenständer, deren gegossene Bronzefüße nackte Frauen mit himmelwärts gereckten Armen darstellten.
    Als ich mich abwandte, streifte ich jemanden und schaute auf. Ich erblickte einen grobschlächtigen älteren Mann in schwarzem, hochgeschlossenem Gewand; sein Anblick machte mich stutzig. Er war in den Sechzigern, hatte rot geränderte Augen in einem bleichen, aufgedunsenen Gesicht; unter seinem vorstehenden Kinn hing ein schwabbeliger Fleischwulst.
    Sandro, hörte ich Leonardo sagen, und sogleich sah ich diesen Mann einige Jahre jünger vor mir, wie er das Bein einer gebratenen Wachtel an den Mund führte, grinste und schelmisch spöttelte: Wohlan, niedlicher Vogel ...
    Nun lächelte Sandro nicht; das glitzernde Fackellicht in seinen eingesunkenen Augen spiegelte unendliches Leid wider.
    Er sah mich an, ohne mich zu erkennen; seine Aufmerksamkeit war von dem Gemälde in Anspruch genommen, das er mit beiden Armen umschlungen hielt. Es war das Bildnis einer Frau - schlank, mit langen Gliedmaßen und strahlender Perlmutthaut. Bis auf eine Locke aus bernsteinfarbenem Haar, die über eine Brust herabfiel, war sie nackt. Einen Arm streckte sie nach einem unvollendeten Himmel aus.
    Er betrachtete es, zärtlich, bekümmert - und dann warf er es mit wilder Entschlossenheit ruckartig von sich auf die nächste Lage. Es blieb auf einer Urne liegen, auf der es auf und ab wippte.
    Ich sah ihm nach, wie er in der Menge verschwand, dann ging ich zu meinem Gemahl zurück.
    Als die Glocke im Turm des Palazzo zu läuten begann, kamen vier Anführer der fanciulli vom Podest herab und nahmen bereitstehende Fackeln in die Hand. Strohbündel und Zunder waren an vier Stellen unter den Scheiterhaufen gestopft worden: zwei vorn und hinten nahe der Mitte, zwei zu beiden Enden.
    Trompeten schmetterten, Lauten klangen, Zimbeln schlugen; als die Menge still wurde, sammelten sich die weiß gekleideten Jungen neben dem Propheten und erhoben ihre jungen, hellen Stimmen zu einer Hymne.
    Das Stroh ging rasch in Flammen auf, schwarze Tentakel wanden sich in hellem Feuer. Die Planken fingen nicht so schnell Feuer und verbreiteten einen durchdringenden, harzigen Geruch; die nichtigen Dinge schmolzen; dünne schwarze Rauchfahnen stiegen auf.
    Zwei Stunden lang stand ich neben Francesco und sah den Scheiterhaufen brennen, sah zu, wie Botticellis Perlengöttin dunkler wurde und dahinschmolz. Zuerst stampfte ich mit den Füßen auf, um die Kälte abzuwehren, als aber die oberen Lagen verkohlten und

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