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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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an Fra Girolamo.
    »Meine Mutter hat gesagt ...«, hob ich an und verstummte, verwirrt darüber, wie ich meinen Gedanken zum Ausdruck bringen sollte, ohne wie eine Verrückte zu klingen. »Vor Jahren hat meine Mutter mir gesagt ... Savonarola werde zu Fall gebracht. Von fünf Männern ohne Kopf.«
    »Eure Mutter? Eure Mutter hat damals mit Euch über Savonarola gesprochen?«
    »Ich weiß, es klingt sehr eigenartig. Aber . ich glaube, was sie sagte, stimmt. Ich glaube, die Hinrichtungen werden letztlich die Ursache für Savonarolas Niederlage sein. Vielleicht wird er sogar sterben.«
    Leonardo rührte sich nicht und starrte mich gebannt an. »Hat sie noch mehr über Fra Girolamo gesagt?«
    »Ich glaube, sie meinte ihn, als sie sagte: >Flammen werden ihn verschlingen, bis seine Gliedmaßen einzeln abfallen, in die Hölle. Fünf Männer ohne Kopf werden ihn zu Fall bringen.<«
    Was er dann sagte, verblüffte mich. »Dann wird er im Feuer sterben. Und die Enthauptungen werden sein Verderben sein. Wir werden abwarten und bereit sein.«
    »Ihr glaubt mir«, sagte ich.
    »Ich glaube Eurer Mutter.«
    Ich starrte ihn so lange an, bis er den Blick senkte und mit unvermuteter Zärtlichkeit sagte: »Ich habe Euch gesagt, dass ich Eure Mutter einmal sah, als sie mit Euch schwanger war.«
    »Ja.«
    »Sie erzählte mir, dass sie eine Tochter unter dem Herzen trage. Sie sagte auch, ich würde Euer Porträt malen.« Er zögerte. »Damals habe ich ihr das Medaillon vom Mord an Giuliano geschenkt. Ich bat sie, es Euch als Glücksbringer zu geben.«
    Am liebsten hätte ich geweint. Ich ergriff seine Hand.
    Verzweifelt bemühte sich die Signoria, die Liebe des Volkes zu Savonarola wiederherzustellen. Sie gab eine Gedenkmünze zu Ehren Fra Girolamos in Auftrag, mit seinem beunruhigenden Profil auf einer Seite und dem Bild einer körperlosen Hand, die ein Schwert hielt, auf der anderen unter der Inschrift Ecce gladius Domini super terram cito et velociter. Schlimmer noch, sie forderte ihn auf, sich dem päpstlichen Befehl, nicht zu predigen, zu widersetzen. Daher verkündete Francesco, er werde mit mir zum Gottesdienst gehen, um den Propheten zu hören. Meinem Vater ging es nicht gut, und er blieb lieber zu Hause.
    Die Prioren hatten entschieden, der angemessenste Ort für Savonarolas Rückkehr auf die Kanzel sei der Duomo, um die erwartete Menge unterzubringen; doch als Francesco und ich die Kathedrale betraten, stellte ich verblüfft fest, dass sie nicht einmal zur Hälfte besetzt war. Nicht alle, so schien es, waren darauf erpicht, die mögliche Exkommunikation durch einen zornigen Papst zu riskieren.
    Francescos Entschluss, am Gottesdienst teilzunehmen, machte mich neugierig. Nach der Hinrichtung der fünf Bigi war er zunehmend auf der Hut gewesen, was das Thema Savonarola betraf. Er prahlte nicht mehr mit den Erfolgen der piagnoni, sprach nicht mehr mit glühenden Worten über den Propheten, und als Agrippina eine kritische Bemerkung über den Mönch fallen ließ, sagte er nichts. Doch unsere Teilnahme an diesem trotzigen Gottesdienst war eine Zurschaustellung eifrigster Unterstützung. Noch wahrscheinlicher war allerdings, dass Francesco seinen Wunsch, sein Sprachrohr und die öffentliche Reaktion auf Savonarola zu überwachen, deutlich machen wollte.
    An jenem Tag weinte niemand im Duomo, keine Gefühlsregungen lagen in der Luft; die Bürger wirkten ernüchtert und zurückhaltend, und als Savonarola ans Pult schritt, trat erwartungsvolle Stille ein.
    Fra Girolamos äußere Erscheinung war beunruhigend. In den Monaten seines Schweigens hatte er gefastet und war noch ausgemergelter als zuvor, dunkle Augen, glänzende Löcher in einem Gesicht aus vergilbtem Elfenbein. Er ergriff den Rand des Lesepults und starrte auf die Menge; er strahlte abgrundtiefe Verzweiflung aus, die er unbedingt teilen musste, um nicht verrückt zu werden. Sein zorniger Atem kam stoßweise, sodass ich von meinem Sitzplatz aus sah, wie sich seine Brust hob und senkte.
    Als er schließlich zu reden anhob, erschrak ich, hatte ich doch vergessen, wie schrill und schneidend seine Stimme klang.
    Er begann leise, mit falscher Bescheidenheit, als er den Text zitierte. »Ach Herr, wie sind meiner Feinde so viel und setzen sich so viele wider mich!«
    Er senkte den Kopf und war eine geschlagene Minute lang zu gerührt, um zu sprechen. Schließlich sagte er: »Ich bin nur ein Werkzeug Gottes. Ich suche keinen Ruhm, keine Ehre; ich habe Gott angefleht, mich das einfache

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