Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
Claudio die Kutschentür öffnete, blieb mir das Herz stehen. Sie haben Leonardo gefangen, dachte ich. Francesco weiß alles. Er hat mich hierher gebracht, um mich verhören zu lassen ... Nach außen hin ließ ich mir meinen inneren Aufruhr jedoch nicht anmerken. Mit unbewegter Miene nahm ich Claudios Arm und stieg leichtfüßig aus der Kutsche. Flüchtig dachte ich an Zalummas Dolch, der zu Hause unter meiner Matratze lag.
Francesco stieg nach mir aus und packte meinen Ellenbogen. Als er mich auf die Türen zusteuerte, sah ich andere
Wagen, die in der Nähe warteten - fünf an der Zahl, dicht gedrängt, begleitet von kleinen Gruppen finsterer, schwarz gekleideter Männer. Bei einem durchdringenden Aufschrei wandte ich den Kopf und sah näher hin: Eine schwarz verschleierte Frau saß auf einem Wagen und schluchzte so heftig, dass sie heruntergefallen wäre, wenn der Kutscher sie nicht festgehalten hätte.
Wir betraten das Gebäude. Ich rechnete damit, zu einer Zelle geführt zu werden, oder in einen Raum voller anklagender Prioren. Bewaffnete Wachen musterten uns prüfend, als wir durch die Eingangshalle nach draußen in einen großen Innenhof schritten. In allen vier Ecken stand eine große Säule aus demselben mattbraunen Stein, aus dem das Gebäude selbst errichtet war: An jeder dieser Säulen waren schwarze Eisenringe befestigt, und in jedem Ring brannte eine Fackel, die flackerndes, orangefarbenes Licht verbreitete.
An der gegenüberliegenden Mauer führten steile Stufen von einem Balkon herab, und am Fuße dieser Treppe stand eine breite, neu errichtete Plattform, auf der eine dicke Schicht Stroh verteilt war. Unter dem Geruch nach frischem Holz und Stroh wehte uns ein schwacher, fauliger Pesthauch an.
Francesco und ich waren nicht allein. Außer uns waren noch andere hochrangige piagnoni anwesend: sieben schwitzende Prioren in ihren scharlachroten Tuniken, eine Handvoll buonomi, sowie Mitglieder des Rates der Acht. Der berühmteste war der Gonfaloniere Francesco Valori, der zum dritten Mal in dieser Eigenschaft diente; Valori, ein hagerer Mann mit harten Augen und fließendem, silbergrauem Haar, hatte vehement nach dem Blut der angeklagten Bigi gerufen. Er hatte seine junge Gemahlin mitgebracht, ein hübsches Geschöpf mit goldenen Ringellocken. Wir nickten schweigend zur Begrüßung und gesellten uns dann zu der Menge, die vor der niedrigen Plattform wartete. Schaudernd atmete ich aus; ich war als Zeugin hier, nicht als Gefangene - zumindest fürs Erste.
Die Menschen unterhielten sich leise, verstummten aber, als ein Mann auf das Gerüst stieg: ein Henker mit einer schweren, einschneidigen Axt. Mit ihm kam ein zweiter Mann, der einen Holzklotz voller Kerben auf dem Stroh absetzte.
»Nein«, flüsterte ich vor mich hin. Mir fielen die Worte meines Vaters über die Bigi ein: Ich hatte es nicht glauben wollen. Hätte ich einen Weg zu Leonardo gefunden, hätte ich das verhindern können?
Francesco neigte mir den Kopf zu, um anzudeuten, er habe mich nicht verstanden, und ich solle meine Worte wiederholen, doch ich sagte nichts mehr. Ich starrte wie die anderen auf das Gerüst, den Henker, das Stroh.
Zuerst vernahmen wir das Klirren der Ketten; dann tauchten die Angeklagten auf dem Balkon auf, flankiert von Männern mit langen Schwertern an den Hüften.
Bernardo del Nero war der Erste. Er war immer ein würdevoller, weißhaariger Mann gewesen mit großen, ernsten Augen und einer geraden, hervorstehenden Nase. Die Augen waren nun fast vollständig zugeschwollen; die Nase, verdreht und blutverkrustet, war klobig. Er konnte nicht mehr gerade stehen, sondern stützte sich schwer auf seinen Wächter, während er zögernd Stufe für Stufe nahm. Wie seine Gefährten hatte man ihn gezwungen, seine Schuhe abzulegen und dem Tod auf bloßen Füßen zu begegnen.
Den jungen Lorenzo Tornabuoni erkannte ich nicht; sein Nasenrücken war zerschmettert, und sein Gesicht war so blau unterlaufen und geschwollen, dass er gar nichts sehen konnte, sondern die Treppe hinabgeführt werden musste. Drei weitere Gefangene folgten: Niccolo Ridolfi, Giannozzo Pucci, Giovanni Cambi, alle gebrochen und dem
Schicksal ergeben. Keiner von ihnen schien sich der Menschen bewusst zu sein, die sich versammelt hatten, um sie zu begaffen.
Als sie schließlich auf dem Blutgerüst standen, las der Gonfaloniere die Anklagen und das Urteil vor: Spionage und Verrat, Tod durch Enthauptung.
Bernardo del Nero gewährte man die Gnade, als Erster zu
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