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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
Autoren: Unbekannter Autor
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getan, Florenz von großem Übel zu befreien.«
    Baroncellis Stimme war so zittrig, dass er seine eigenen Worte kaum verstand. »Von Lorenzo?«
    »Von Ausschweifungen. Von Heidentum. Vom Streben nach gottloser Kunst.«
    Mit klappernden Zähnen funkelte Baroncelli ihn wütend an. »Wenn Ihr - wenn andere - das glauben, warum habt Ihr mich nicht längst befreit? Rettet mich!«
    »Wir wagen nicht, uns zu erkennen zu geben. Es ist noch viel zu tun, ehe Florenz, ehe Italien, ja die Welt für uns bereit ist.«
    »Ihr seid verrückt«, hauchte Baroncelli.
    Der Tröster lächelte. »Wir sind verrückt nach Gott.«
    Er half Baroncelli auf die Beine; wütend riss dieser sich von ihm los und taumelte die Holzstufen allein hinauf.
    Auf dem Gerüst zwischen Baroncelli und der wartenden Schlinge stand der Henker, ein junger, schlanker Mann, dessen Gesicht hinter einer Maske verborgen war. »Vor Gott«, sagte der Henker zu Baroncelli, »bitte ich Euch um Vergebung für die Tat, die ich zu begehen mich durch Eid verpflichtet habe.«
    Die Innenseite von Baroncellis Lippen und Wangen klebte ihm an den Zähnen; seine Zunge war so trocken, dass sie eine Hautschicht hinterließ, als er die Worte aussprach. Dennoch klang sein Tonfall erstaunlich ruhig. »Ich vergebe Euch.«
    Der Henker atmete erleichtert auf; vielleicht hatte es andere Todeskandidaten gegeben, die eher darauf bedacht waren, dass er seine Hände mit Blut besudelte. Er nahm Baroncelli am Ellenbogen und führte ihn an eine besondere Stelle auf der Plattform, nahe der Schlinge. »Hier.« Seine Stimme war eigenartig freundlich. Aus seinem Umhang zog er einen weißen Leinenschal.
    In dem Moment, bevor ihm die Augen verbunden wurden, suchte Baroncelli die Menge ab. Recht weit vorn stand
    Giovanna mit den Kindern. Sie war allerdings zu weit entfernt, sodass Baroncelli nicht sicher sein konnte, aber ihm schien, als weinte sie.
    Lorenzo de' Medici war nirgendwo zu sehen - doch Baroncelli hatte keinen Zweifel daran, dass er zusah. Er stand vermutlich auf einem verborgenen Balkon oder an einem Fenster; vielleicht sogar im Palazzo della Signoria.
    Unter ihm, am Fuß des Gerüsts, stand der Tröster mit heiterer und merkwürdig zufriedener Miene. In einem Moment göttlicher Eingebung erkannte Baroncelli, dass er, Francesco de' Pazzi, Messer Iacopo und Erzbischof Salviati - dass sie alle Narren gewesen waren, deren kleinherziger Ehrgeiz ausgenutzt worden war, um einem höheren Ziel zu dienen, einem, das ihm beinahe ebenso viel Angst einjagte wie die Aussicht auf den bevorstehenden Tod.
    Der Henker band Baroncelli den Schal über die Augen und ließ dann die Schlinge über sein Kinn gleiten, die er fest um den Hals zog.
    Bevor sich die Plattform unter ihm auftat, flüsterte Baroncelli noch zwei letzte Worte, die an ihn selbst gerichtet waren.
    »Da, Verräter.«
10
    Sobald Baroncellis Körper aufhörte zu zucken, begab sich ein junger Künstler, der vor der Menge stand, an die Arbeit. Der Leichnam würde tagelang auf der Piazza hängen, bis die Verwesung so weit fortgeschritten wäre, dass er aus der Schlinge rutschte. Der Künstler aber konnte nicht warten; er wollte das Bild festhalten, solange noch Leben darin zu erahnen war. Im Übrigen würden sich die jungen Rüpel, giovani, einen Spaß daraus machen, die Leiche mit Steinen zu bewerfen, und der bevorstehende Regen würde sie aufblähen.
    Er fertigte eine Skizze auf Papier an, das er auf ein Brett aus Pappelholz drückte, um eine feste Unterlage zu haben. Die Federn an seinem Kiel hatte er gestutzt, denn er benutzte ihn so häufig, dass die Widerhaken dort seine langen Finger störten; er selbst hatte das Ende sehr fein angespitzt und tauchte es regelmäßig gedankenverloren in ein Fläschchen Eisengallustinte, das er sicher an seinem Gürtel befestigt hatte. Da Handschuhe beim Zeichnen nur hinderlich waren, schmerzten seine bloßen Hände vor Kälte, doch er tat diese Wahrnehmung als unwesentlich ab. Ebenso verfuhr er mit der Sorge, die ihn zu überwältigen drohte - denn der Anblick von Baroncelli rief äußerst schmerzhafte Erinnerungen wach. Er schob sie einfach beiseite und konzentrierte sich stattdessen auf das Objekt.
    Obwohl sie sich bemühten, ihre wahren Gefühle zu verbergen, offenbarten sich Männer und Frauen gleichermaßen durch feine Anzeichen in ihrem Ausdruck, ihrer Haltung und ihrer Stimme. Baroncellis Reue war nicht zu übersehen. Selbst im Tod hatte er die Augen niedergeschlagen, als rechnete er damit, in die
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