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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Gefühlsregungen aber waren deutlich zu hören. »Lass sie in Ruhe. Es war meine Idee, von Anfang bis Ende. Wenn du schreien musst, dann schrei mich an.«
    »Du darfst nicht aufstehen«, sagte ich, doch meine Worte wurden von der wütenden Stimme meines Vaters übertönt.
    »Wie konntest du so etwas tun, obwohl dir die Gefahr bewusst war? Warum jagst du mir solche Angst ein, Luc-rezia? Du hättest sterben können!«
    Meine Mutter sah ihn aus verstörten Augen an. »Ich bin es leid. Dieses Haus, dieses Leben. Es macht mir nichts, wenn ich sterbe. Ich will ausgehen wie ganz normale Leute. Ich möchte leben wie jede andere Frau auch.«
    Sie hätte noch mehr gesagt, doch mein Vater unterbrach sie. »Der Herr möge dir deine leichtfertigen Reden über das Sterben vergeben. Es ist Sein Wille, dass du so lebst, Sein Urteil. Du solltest es in Demut hinnehmen.«
    Noch nie hatte ich einen giftigen Tonfall bei meiner Mutter vernommen, noch nie hatte ich sie verächtlich schnauben sehen. An jenem Tag aber geschah beides.
    Ein Mundwinkel zuckte. »Spotte nicht über Gott, Antonio, wenn wir beide die Wahrheit kennen.«
    Mit einer blitzartigen Bewegung ging er auf sie zu, um sie zu schlagen; sie fuhr zurück.
    Ich bewegte mich ebenso rasch und trat dazwischen. Mit Fäusten schlug ich auf die Schultern meines Vaters ein und zwang ihn, von ihr Abstand zu nehmen. »Wie kannst du es wagen!«, schrie ich. »Wie kannst du es nur wagen! Sie ist lieb und gut - all das, was du nicht bist!«
    Seine hellen, goldenen Augen waren weit aufgerissen und funkelten vor Wut. Er schlug mit dem Handrücken zu; ich fiel nach hinten und war verblüfft, mich auf dem Boden sitzend wiederzufinden.
    Er stürmte aus dem Raum. Unterdessen schaute ich mich fieberhaft nach einem Gegenstand um, den ich ihm nachwerfen konnte, doch ich hatte nur noch den Umhang über den Schultern, ein Geschenk von ihm aus schwerem blauem Tuch.
    Ich zerknüllte ihn in den Händen und schleuderte ihn von mir, doch er kam kaum weiter als eine Armeslänge, bevor er lautlos zu Boden sank - eine vergebliche Geste.
    Dann kam ich wieder zu mir und lief ins Zimmer meiner Mutter. Sie kniete neben ihrem Bett. Ich half ihr hinein, deckte sie zu und hielt ihre Hand, während sie - wieder im Halbschlaf - leise weinte.
    »Schh«, sagte ich zu ihr. »Wir haben es nicht so gemeint. Und wir werden es wiedergutmachen.«
    Blind tastete sie nach meiner Hand. Ich umfasste die ihre. »Alles wiederholt sich«, stöhnte sie, und endlich schloss sie die Augen. »Alles wiederholt sich ...«
    »Sei still jetzt«, sagte ich, »und schlafe.«
13
    Den ganzen Tag saß ich am Bett meiner Mutter. Bei Sonnenuntergang zündete ich eine Kerze an und blieb bei ihr. Eine Dienerin überbrachte mir die Aufforderung meines Vaters, ich solle herunterkommen und mit ihm zu Abend essen. Ich lehnte ab. Ich wollte mich noch nicht versöhnen.
    Als ich jedoch in der Dunkelheit saß und das Profil meiner Mutter im Kerzenschein betrachtete, regte sich ehrliche Reue in mir. Ich war nicht besser als mein Vater. Aus Liebe zu ihr und dem Wunsch, sie zu beschützen, hatte ich mich von meiner Wut übermannen lassen. Als mein Vater die Hand hob und sie bedrohte - obwohl ich nicht glaubte, dass er sie tatsächlich schlagen würde -, hatte ich ihn gleich mit Fäusten bearbeitet. Dieser Kampf zwischen uns hatte meiner Mutter das Herz gebrochen.
    Ich war eine schlechte Tochter. Eine der schlimmsten Sorte, denn ich war rachsüchtig und schmiedete Ränke gegen jene, die mir nahestehenden Menschen Schaden zufügten. Als ich zehn war, hatten wir eine neue Dienerin, Evangelia, eine stämmige Frau mit schwarzen Haaren am Kinn und einem breiten roten Gesicht. Sowie sie zum ersten Mal einen Anfall meiner Mutter mitbekam, verkündete sie - wie der Priester im Duomo -, meine Mutter sei vom Teufel besessen und man müsse für sie beten.
    Diese Forderung allein hätte meinen Hass noch nicht hervorgerufen, nur mein Missfallen. Wie gesagt, ich war zu der Zeit unentschlossen, ob es stimmte, doch ich wusste, solche Feststellungen waren meiner Mutter peinlich und verletzten sie. Evangelia ließ die Sache allerdings nicht auf sich beruhen. Jedes Mal, wenn sie sich mit meiner Mutter in einem Raum aufhielt, bekreuzigte sie sich und machte das Zeichen, um das Auge des Bösen abzuwenden - zwei Finger in V-Form, die auf Augenhöhe nach außen zeigen. Dann trug sie auf einmal in einem Beutel einen Talisman um den Hals. Zu guter Letzt tat sie etwas Unverzeihliches:

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