Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
Freund Lorenzo de' Medicis, Graf Giovanni Pico, hatte sich von Savonarolas Lehren sehr beeindruckt gezeigt und Lorenzo als inoffizielles Oberhaupt von San Marco gebeten, nach dem Mönch zu schicken. Lorenzo kam seiner Bitte nach.
Sobald Fra Girolamo allerdings die Herrschaft über das Dominikanerkloster erlangt hatte, wandte er sich gegen seinen Gastgeber. Ungeachtet der Tatsache, dass das Geld der Medici San Marco letztlich vor dem Verfall gerettet hatte, wetterte Girolamo gegen Lorenzo - nicht namentlich zwar, aber doch mit deutlichen Anspielungen. Die von den Medici organisierten Paraden wurden als sündhaft bezeichnet; die von Lorenzo emsig gesammelten heidnischen Antiquitäten als blasphemisch, der von ihm und seiner Familie genossene Wohlstand und politische Einfluss als Beleidigung Gottes, des einzig rechtmäßigen irdischen Machthabers. Aus diesen
Gründen brach Fra Girolamo mit der Tradition, der alle neuen Klostervorsteher von San Marco bislang gefolgt waren: Er weigerte sich, Lorenzo, dem Wohltäter der Einrichtung, seinen Respekt zu erweisen.
Ein solches Verhalten gefiel den Gegnern der Medici und den neidischen Armen. Mein Vater hingegen ließ sich von Savonarolas Prophezeiung des kurz bevorstehenden Weltuntergangs fesseln.
Wie so viele in Florenz war auch mein Vater ein ernster Mann, der sich bemühte, den Schöpfer zu verstehen und ein gottgefälliges Leben zu führen. Da er ein gebildeter Mann war, wusste er von einem wichtigen astrologischen Ereignis, das ein paar Jahre zuvor eingetreten war: die Konjunktion von Jupiter und Saturn. Alle Welt war sich einig, dass dies von monumentaler Bedeutung sei. Manche behaupteten, es verheiße die Ankunft des Antichrist (den weite Kreise in dem türkischen Sultan Mehmet sahen, der sich Konstantinopel angeeignet hatte und nun die ganze Christenheit bedrohte), andere wiederum waren überzeugt, es künde eine spirituelle Reinigung innerhalb der Kirche an.
Savonarola glaubte, es sage beides voraus. Eines Morgens kehrte mein Vater ganz außer Atem von der Messe heim. Fra Girolamo hatte während der Predigt eingestanden, dass Gott direkt zu ihm gesprochen habe. »Und er sagte, die Kirche werde zunächst gegeißelt, dann gereinigt und wiederbelebt«, erzählte mein Vater, und sein Gesicht glühte dabei ganz eigenartig. »Das Ende der Welt ist nah.«
Er war wild entschlossen, mich am darauffolgenden Sonntag mitzunehmen, damit ich den Mönch reden hörte. Außerdem bat er meine Mutter, uns zu begleiten. »Er wurde von Gott berührt, Lucrezia. Ich schwöre dir, wenn du ihn nur mit eigenen Ohren hören könntest, würde sich dein Leben von Stund an ändern. Er ist ein heiliger Mann, und wenn wir ihn überreden, für dich zu beten ...«
Für gewöhnlich hätte meine Mutter ihrem Mann nichts verweigert, doch in diesem Fall blieb sie standhaft. Es sei zu kalt für sie, um sich nach draußen zu wagen, und Menschenmengen regten sie zu sehr auf. Wenn sie zur Messe ginge, dann in unsere Kirche Santo Spirito, die ganz in der Nähe liege und in der Gott ihre Gebete ebenso erhören würde wie die von Fra Girolamo. »Im Übrigen«, stellte sie fest, »kannst du ihm ja immer zuhören und mir dann anschließend gleich berichten, was er gesagt hat.«
Mein Vater war enttäuscht und erzürnt, glaube ich, obwohl er es meiner Mutter gegenüber nicht zeigte. Er war davon überzeugt, dass sich der Zustand meiner Mutter auf wundersame Weise bessern würde, wenn sie nur mit ihm käme und Fra Girolamo anhörte.
Am Tag nach dieser Meinungsverschiedenheit meiner Eltern kam ein Besucher zu uns in den Palazzo: Graf Giovanni Pico von Mirandolo, der Mann, der Lorenzo de' Medici empfohlen hatte, Savonarola nach Florenz zu holen.
Graf Pico war ein intelligenter, feinfühliger Mann, ein Kenner der Klassiker und der hebräischen Kabbala. Darüber hinaus sah er mit seinem goldblonden Haar und den klaren grauen Augen gut aus. Meine Eltern empfingen ihn herzlich - schließlich gehörte er zum engeren Kreis der Medici und kannte Savonarola. Ich durfte mich zu ihnen setzen, während die Erwachsenen sich unterhielten und Zalumma über allem schwebte, die anderen Dienerinnen anwies und dafür sorgte, dass Graf Picos Kelch stets mit unserem besten Wein gefüllt war. Wir versammelten uns im großen Salon, in dem meine Mutter auch den Astrologen getroffen hatte. Pico saß neben meinem Vater, meiner Mutter und mir gegenüber. Draußen verdunkelte sich der Himmel mit bleigrauen Wolken, die Regen
Weitere Kostenlose Bücher