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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Augen, dass sie tränten. Meine Mutter saß starr und ausdruckslos zwischen mir und Zalumma in der Kutsche. Ihre schwarzen Haare und Augen standen in verblüffendem Kontrast zum weißen Hermelin-Cape, das sie um ihr smaragdgrünes Samtkleid geschlungen hatte. Mein Vater saß uns gegenüber und schaute fürsorglich auf seine Frau, eifrig darauf bedacht, ein Zeichen der Ermutigung oder Zuneigung zu erhalten, doch sie blickte an ihm vorbei, als wäre er gar nicht vorhanden. Zalumma sah meinen Vater direkt an und machte sich gar nicht erst die Mühe, ihre Empörung zu verbergen, die sie eingedenk ihrer Herrin empfand.
    Graf Pico fuhr mit uns und gab sein Bestes, meinen Vater und mich mit freundlichen Kommentaren zu zerstreuen, doch die Demütigung meiner Mutter war nicht zu übersehen, eisig und bitter wie das Wetter. Es war so eingerichtet worden, dass wir Fra Girolamo direkt nach dem Gottesdienst persönlich treffen sollten, damit er meiner Mutter die Hand auflegen und für sie beten konnte.
    Mir stockte der Atem, als wir vor dem Eingang von San Marco anhielten. Meine Ehrfurcht galt nicht der Kirche -einem schlichten Bau aus schmucklosem Stein, derselbe Stil wie unsere Pfarrkirche in Santo Spirito -, vielmehr der Anzahl von Menschen, die sich im Eingang, auf den Stufen und bis auf den Platz hinaus drängten, da sie im Gotteshaus selbst keinen Platz mehr fanden.
    Wäre Graf Pico nicht bei uns gewesen, hätten wir uns niemals Zutritt verschaffen können. Beim Aussteigen aus der Kutsche rief er etwas, und sogleich traten drei Dominikanermönche von beachtlicher Größe vor und geleiteten uns ins Innere. Ihre Wirkung auf die Menge grenzte an Zauberei. Die Menschen schmolzen dahin wie Wachs vor einer Flamme. Kurz darauf stand ich schon zwischen meiner Mutter und meinem Vater, nicht weit von der Kanzel und dem Hauptaltar entfernt, unter dem Cosimo de' Medici begraben lag.
    Verglichen mit dem großen Duomo war der Innenraum von San Marco mit seinen hellen Steinsäulen und dem schlichten Altar gesetzt und unauffällig. Die Stimmung im Heiligtum jedoch war fieberhaft; trotz der betäubenden Kälte fächerten sich die Frauen zu und tuschelten erregt. Männer stampften auf den Boden - nicht gegen die Kälte, sondern vor Ungeduld -, und Mönche stöhnten laut im Gebet. Ich kam mir vor wie im Karneval, wenn man auf ein lang ersehntes Turnier wartete.
    Der Chor stimmte ein Lied an, und der Einzug begann.
    Mit schwärmerischen Mienen drehten sich die Gläubigen eifrig zur Prozession um. Zunächst kamen die jungen Messdiener, einer trug das große Kreuz, der andere schwenkte ein Weihrauchfass, das die Luft schwängerte. Es folgte der Diakon, dann der Priester persönlich.
    Zuletzt kam Fra Girolamo, womit ihm die größte Ehre zuteil wurde. Bei seinem Anblick riefen die Menschen: »Fra Girolamo! Bete für mich!« - »Der Herr segne dich, Bruder!« Am lautesten ertönte der Ruf »Babbo! Babbo!«, mit dem nur die allerjüngsten Kinder ihre Väter anredeten.
    Ich stellte mich auf Zehenspitzen und verrenkte mir den Hals, um einen flüchtigen Blick auf ihn zu erhaschen, gewann aber nur den vagen Eindruck von einer abgetragenen braunen Mönchskutte, die von einer dürren Gestalt kaum ausgefüllt wurde. Er hatte die Kapuze auf und hielt den Kopf gesenkt. Stolz gehörte demnach nicht zu seinen Sünden, dachte ich.
    Er setzte sich, nach vorn gebeugt und eingeschüchtert, zu den Messdienern. Dann erst wurden die Menschen ruhiger. Doch als die Messe fortschritt, steigerte sich ihre Unruhe wieder. Als der Chor das Gloria in excelsis anstimmte, begann die Menge nervös zu zappeln. Die Epistel war beendet, das Graduale gesungen, und als der Priester das Evangelium las, murmelten die Menschen unablässig vor sich hin - zu sich selbst, zu ihren Nachbarn, zu Gott.
    Und zu Fra Girolamo. Es war, als lausche man dem Brummen von Insekten und nächtlichen Geschöpfen in einer Sommernacht - ein lautes, unverständliches Geräusch.
    In dem Augenblick, als er die Kanzel bestieg, wurde es im Heiligtum mucksmäuschenstill, so still, dass ich die Holzräder einer Kutsche über das Pflaster der Via Larga rattern hörte.
    Über uns, über Cosimos Gebeinen, stand ein kleiner, schmächtiger Mann mit eingefallenen Wangen und großen, hervortretenden dunklen Augen. Er hatte die Kapuze zurückgeschlagen und einen Kopf enthüllt, der von großen schwarzen Locken gekrönt war.
    Er war noch unansehnlicher als seine Nemesis, Lorenzo de' Medici. Er hatte eine niedrige,

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