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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Prior ihm eine Abfuhr erteilt hat. Ich glaube wirklich, Madonna Lucrezia, dass Lorenzo auf der Stelle geheilt wäre, wenn man Fra Girolamo gestatten würde, ihm die Hand aufzulegen und für ihn zu beten.«
    Meine Mutter wandte sich ab. Picos Ton wurde leidenschaftlicher.
    »Oh, verehrte Madonna, wendet Euch nicht von der Wahrheit ab. Ich habe gesehen, wie Fra Girolamo Wunder wirkte. Noch nie habe ich einen gottesfürchtigeren, ernsteren Mann erlebt. Verzeiht, wenn ich in Eurer Gegenwart so offen bin, doch wir alle haben Priester gesehen, die mit Frauen verkehren, die fressen und saufen und in allen möglichen weltlichen Verderbtheiten schwelgen. Fra Girolamos Gebete hingegen sind mächtig, weil er reinen Geistes ist. Er lebt in Armut; er fastet; er treibt sich die Sünden mit der Geißel aus. Wenn er nicht predigt oder sich den Armen widmet, kniet er nieder, um zu beten. Und
    Gott spricht zu ihm, Madonna. Gott schickt ihm Visionen.«
    Während er sprach, begann Ser Giovanni zu glühen; seine Augen schienen heller als das Feuer. Er beugte sich vor und ergriff die Hand meiner Mutter mit großer Zartheit und einer Besorgnis, die keine Spur von Zudringlichkeit erkennen ließ. Auch mein Vater lehnte sich zu ihr vor, bis er bedenklich auf der Stuhlkante balancierte. Offenkundig hatte er Pico eigens zu diesem Zweck hierhergebracht.
    »Verzeiht meine Kühnheit, doch Euer Gemahl hat mir von Eurem Leiden erzählt, Madonna Lucrezia. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass einer so jungen, hübschen Frau ein normales Leben versagt ist - vor allem, wenn ich mit absoluter Sicherheit weiß, dass Fra Girolamos Gebete Euch heilen können.«
    Meine Mutter war gedemütigt, erzürnt; sie konnte Pico nicht in die Augen schauen. Trotz ihrer starken Gefühle war ihre Stimme beherrscht, als sie erwiderte: »Andere heilige Männer haben schon für mich zu Gott gebetet. Mein Mann und ich haben gebetet, und wir sind gute Christen, Gott aber hielt es nicht für angebracht, mich zu heilen.« Schließlich konnte sie sich dazu durchringen, Pico direkt anzusehen. »Dennoch, wenn Euch die Wirksamkeit von Fra Girolamos Gebeten so sehr überzeugt, warum bittet Ihr ihn nicht, aus der Ferne für mich zu beten?«
    In seiner Eindringlichkeit verließ Messer Giovanni seinen Stuhl und beugte demütig vor meiner Mutter das Knie. Er senkte die Stimme, sodass auch ich mich vorbeugen musste, um ihn über dem knisternden Feuer zu verstehen.
    »Madonna . Ihr habt sicher von der Prophezeiung über den papa angelico gehört?«
    In Frankreich und Italien kannte jedermann die uralte
    Prophezeiung über den engelhaften Papst, der nicht von Kardinälen, sondern von Gott erwählt wurde, der kommen würde, um die Kirche von Korruption zu reinigen und kurz vor der Wiederkehr Jesu Christu zu vereinen.
    Meine Mutter nickte flüchtig.
    »Es ist Fra Girolamo, das sagt mir mein Herz. Er ist kein gewöhnlicher Mann. Madonna, was könnte es schaden, wenn Ihr einmal mitkämt, um ihn anzuhören? Ich werde dafür sorgen, dass er Euch nach der Messe persönlich trifft, schon am nächsten Sonntag, wenn Ihr wollt. Überlegt doch nur: Durch Fra Girolamos Hände wird Gott Euch heilen. Ihr müsst nicht länger eine Gefangene in diesem Haus sein. Nur ein einziger Besuch, Madonna ...«
    Sie warf meinem Vater einen Blick zu. Zunächst vorwurfsvoll, denn er hatte sie in eine unsagbar peinliche Situation gebracht, doch der Vorwurf schmolz dahin, als sie in sein Gesicht schaute.
    Dem Ausdruck meines Vaters haftete nichts Verschwörerisches an, nichts, das nach Befriedigung oder Triumph roch. Sein Gesicht glühte ebenso wie Picos - nicht vom Widerschein des Feuers oder von göttlicher Eingebung, sondern aus reiner verzweifelter Liebe, wie ich sie noch nie gesehen hatte.
    Das war es, mehr noch als Picos überzeugender Charme, was sie am Ende bewog nachzugeben. Als sie schließlich dem Grafen antwortete, schaute sie zu meinem Vater auf, und all der Schmerz und die Liebe, die sie im Herzen verborgen hatte, standen ihr ins Gesicht geschrieben. Tränen traten ihr in die Augen und liefen ihr über die Wangen, während sie sprach.
    »Nur einmal«, sagte sie an meinen Vater gewandt, den knienden Pico ignorierend. »Ein einziges Mal.«
16
    An jenem Sonntag war der Himmel blau, erhellt von einer Sonne, die zu schwach war, um die schleichende Kälte zu mildern. Mein dickster Umhang aus roter Wolle, gefüttert mit Kaninchenfell, reichte nicht aus, mich zu wärmen; die eisige Luft brannte mir in den

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