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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Kinder! Wie kann er so schreckliche Dinge sagen?«
    So wie meine Mutter beschützend meinen Arm gepackt hatte, ergriff Zalumma rasch den meiner Mutter. »Schh, Madonna. Ihr müsst Euch beruhigen ...« Sie beugte sich näher zu ihr, um meiner Mutter direkt ins Ohr zu flüstern. Ungehalten schüttelte meine Mutter den Kopf und legte mir einen Arm um die Schultern. Sie drückte mich fest an sich, als wäre ich ein kleines Kind. Zalumma achtete nicht auf den Prediger und seine piagnoni und hielt den Blick aufmerksam auf ihre Herrin gerichtet. Auch ich wurde unruhig; ich spürte, wie sich der Busen meiner Mutter rasch hob und senkte, spürte die Anspannung in ihrem Griff.
    »Das geht nicht mit rechten Dingen zu«, flüsterte sie heiser. »Das ist nicht richtig .«
    Viele in der Kirche weinten und stöhnten, riefen leise Fra Girolamo und Gott an, doch nicht einmal mein Vater achtete auf meine Mutter; er und Pico waren viel zu sehr von dem Prediger eingenommen.
    »O Herr!«, schrie Fra Girolamo mit schneidender Stimme. Der Mönch presste die Stirn an die gefalteten Hände, stieß einen bitteren Seufzer aus und hob das trä-nenüberströmte Gesicht dann gen Himmel. »Herr, ich bin nur ein bescheidener Mönch. Ich habe nicht um Deinen himmlischen Beistand gebeten; ich sehne mich nicht danach, für Dich zu sprechen oder Deine Visionen zu empfangen. Doch ich unterwerfe mich in Demut Deinem Willen. In Deinem Namen bin ich bereit, so wie Jeremias es war, die Leiden zu ertragen, die Deinen Propheten von den Gottlosen zugefügt werden.«
    Er schaute auf uns herab, und plötzlich waren sein Blick und seine Stimme zärtlich. »Ich weine ... ich weine wie ihr um die Kinder. Ich weine um Florenz und um die Plage, die der Stadt bevorsteht. Doch wie lange können wir sündigen? Wie lange können wir Gott beleidigen, bevor ER sich gezwungen sieht, Seinen rechtschaffenen Zorn zu entladen? Wie ein liebender Vater hat ER Seine Hand im Zaum gehalten. Doch wenn Seine Kinder auch weiterhin auf Abwege geraten, wenn sie Ihn verhöhnen, muss ER um ihretwillen harte Strafen verhängen.
    Schaut euch doch nur an, ihr Frauen: ihr mit euren funkelnden Juwelen, die euch schwer um den Hals und an den Ohren hängen. Wenn nur eine unter euch - nur eine Einzige - der Sünde der Eitelkeit abschwören würde, wie viele Arme könnten davon satt werden? Schaut euch die Bahnen von Seide, Brokat und Samt an, die endlosen, kostspieligen Goldfäden, die eure irdischen Körper zieren. Wenn sich auch nur eine unter euch schlicht kleidete, um Gott zu gefallen, wie viele könnten vor dem Hungertod bewahrt werden?
    Und ihr, Männer, mit eurer Hurerei, eurer Sodomie, eurer Gefräßigkeit und Trunksucht: Müsstet ihr stattdes-sen ausschließlich in die Arme eurer Frau zurückkehren, hätte das Königreich Gottes mehr Kinder. Müsstet ihr die Hälfte von eurem Teller an die Armen abgeben, wäre niemand in Florenz mehr hungrig; müsstet ihr dem Wein abschwören, gäbe es keine Rauferei und kein Blutvergießen in der Stadt.
    Ihr Wohlhabenden, ihr Kunstliebhaber, ihr Sammler von Tand: Wie ihr euch versündigt mit eurer Verherrlichung des Menschen statt des Göttlichen, mit eurer üblen, nutzlosen Zurschaustellung von Wohlstand, während andere aus Mangel an Brot und Wärme sterben! Werft eure irdischen Reichtümer ab und sucht stattdessen nach dem Schatz, der ewig ist.
    Allmächtiger Gott! Wende unsere Herzen von der Sünde ab hin zu Dir. Verschone uns vor der Qual, die jene heimsucht, welche Deine Gesetze missachten.«
    Ich schaute zu meiner Mutter. Sie starrte mit festem, wütendem Blick nicht auf Savonarola, sondern auf einen Punkt weit hinter ihm, jenseits der Mauern von San Marco.
    »Mutter«, sagte ich, aber sie hörte mich nicht. Ich versuchte, mich aus ihrer Umarmung zu lösen, doch ihr Griff wurde immer fester, bis ich schließlich aufschrie. Sie war zu Stein erstarrt und ich war in ihrem Arm gefangen. Za-lumma erkannte die Anzeichen sofort und redete beruhigend auf sie ein, drängte sie, mich freizulassen, sich hinzulegen und zu wissen, dass alles gut werde.
    »Das ist das Urteil Gottes!«, rief meine Mutter mit einer solchen Kraft, dass ich vergeblich versuchte, mir die Hände auf die Ohren zu legen.
    Fra Girolamo hörte es. Die Gemeinde neben uns hörte es. Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf meine Mutter und mich. Mein Vater und Pico betrachteten uns mit schierem Entsetzen.
    Zalumma legte meiner Mutter die Hände auf die Schultern und versuchte, sie zu

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