Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
nicht ich. Die Predigt wird fortgesetzt; die Messe wird ausgerichtet.« Als mein Vater niedergeschlagen den Kopf hängen ließ, gab Fra Girolamo ein Zeichen an Graf Pico und zwei Dominikanermönche in der Gemeinde. »Kümmert euch um sie«, sagte er ihnen leise. »Bringt sie in die Sakristei, wo sie auf mich warten soll.«
Dann hob er mit lauter Stimme erneut zu predigen an. »Kinder Gottes! Solcherlei böse Omen werden nur zunehmen, bis alle in unserer Stadt büßen und ihr Herz dem Herrn zuwenden; sonst wird eine Plage kommen, wie die Welt sie noch nie gesehen hat .«
Von diesem Augenblick an hörte ich den Rhythmus und den Tonfall seiner Predigt, nicht aber den Sinn, denn zwei Mönche in braunen Kutten waren neben meiner Mutter aufgetaucht. Pico nahm die Sache in die Hand.
»Fra Domenico«, sagte er zu dem Größeren mit Quadratschädel und den Augen eines Dummkopfs. »Ich lasse die Frauen zur Seite treten. Dann hebt Ihr Madonna Lucrezia hoch« - er deutete auf meine Mutter, die noch immer mitten in ihrem Anfall war - »und tragt sie fort. Fra Marciano, helft ihm, falls notwendig.«
Weder Zalumma noch ich rührten uns von der Stelle. »Meine Mutter kann nicht bewegt werden - sie könnte sich verletzen«, beharrte ich empört.
Fra Domenico hörte schweigend zu, dann bog er Za-lummas schützende Arme auseinander und packte meine Mutter um die Taille.
Er hob sie mühelos auf, wobei Zalumma unwillkürlich hintenüberfiel. Vergeblich streckte ich die Hände nach meiner Mutter aus, als sich ihr Kopf mit den schwingenden, chaotischen Haarsträhnen aus meinem Schoß hob. Fra Domenico zuckte nur leicht unter den schlagenden Gliedmaßen zusammen und warf sich meine Mutter über die Schulter wie ein Bäcker einen Sack Mehl. Die Beine meiner Mutter schlugen gegen seine Brust, die Hände gegen seinen Rücken, doch er schien es nicht zu spüren.
»Halt!«, schrie Zalumma den Mönch an. Ihr Anblick war beinahe ebenso erschreckend wie der ihrer Herrin: Der Schal unter ihrer Haube war verrutscht und ließ ein paar dichte Locken hervorquellen; schlimmer noch, sie hatte einen Schlag aufs Auge bekommen, das bereits halb zugeschwollen war; der Wangenknochen darunter war dunkelrot und glänzend und versprach sich zu einer prächtigen Beule auszuwachsen.
»Lasst sie in Ruhe!«, brüllte ich Fra Domenico an. Ich wollte mich erheben, doch die Leute neben mir standen auf meinen Röcken, sodass ich gleich wieder zu Boden ging.
»Lasst sie aufstehen!«, kommandierte eine männliche Stimme über mir. Die Menschen machten Platz, wo keiner vorhanden war. Ein starker Arm langte herab, packte mich am Oberarm und zog mich auf die Beine; ich erhob mich keuchend und schaute in die Augen eines Fremden - ein hochgewachsener, dünner Mann, der das vornehme Gewand eines Buonomi trug, eines Ehrenmannes, eines der zwölf, die alle zwei Monate gewählt wurden, um die acht Prioren zu beraten. Er begegnete meinem Blick mit eigenartiger Eindringlichkeit, als würden wir uns kennen, obwohl wir uns noch nie begegnet waren.
Ich zog mich sogleich vor ihm zurück und folgte dem unerbittlichen Domenico, der sich bereits einen Weg durch die Menge bahnte. Vergessend, dass er sich in einem Gotteshaus befand, eilte mein Vater hinter Domenico her und forderte ihn auf, vorsichtiger mit meiner Mutter umzugehen.
Domenicos Begleiter, Fra Marciano, bot Zalumma und mir jeweils einen Arm an. Wütend und wortlos lehnte Za-lumma seine Unterstützung ab, obwohl sie sichtbar hinkte. Auch ich winkte ab. Fra Marciano verhielt sich jedoch weiterhin besorgt und freundlich. Er war zerbrechlich und älter, mit schütterem Haar; seine Augen strahlten freundliche Güte aus.
»Seid getrost«, sagte er mir, »die Dame ist in Gottes Händen; ER wird nicht zulassen, dass ihr etwas zustößt.«
Ich gab keine Antwort. Stattdessen ging ich schweigend wie die anderen hinter Fra Domenico mit seiner Bürde her, bis wir in die Sakristei kamen.
Der Raum war klein, viel kälter als der Hauptraum, der von mehreren hundert Menschen aufgewärmt wurde; ich konnte meinen Atem sehen. Fra Domenico trug meine Mutter an den einzig möglichen Platz: einen schmalen Holztisch, den mein Vater zunächst mit ihrem weichen Fellumhang bedeckte. Sobald der Mönch meine Mutter abgelegt hatte, schob mein Vater ihn mit einer Vehemenz beiseite, die mich verblüffte. Die beiden schwer atmenden Männer wechselten einen Blick, aus dem blanker Abscheu sprach; ich dachte schon, sie würden aufeinander
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