Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
du es mir nicht einfach gesagt? Du hast es nur angedeutet, aber du wusstest es genau.«
    Das Tuch hing schlaff in ihren Händen; überwältigt senkte sie den Kopf. Als sie ihn schließlich wieder hob, zeugte ihre Miene von finsterer Entschlossenheit. Sie machte den Mund auf, um zu reden, doch noch ehe sie das erste Wort herausgebracht hatte, klopfte es laut an der Tür.
    Mein Vater öffnete sie ohne Aufforderung; beim Anblick seiner toten Gemahlin auf dem Bett fuhr er zusammen und wandte den Blick ab. »Bitte«, sagte er, »lasst mich hier drinnen für sie beten. Ich möchte jetzt bei ihr sein, bevor sie für immer fort ist.«
    Zalumma drehte sich zu ihm um, die Fäuste geballt, als wollte sie ihn schlagen. »Wie könnt Ihr es wagen!«, schnaubte sie. »Wie könnt Ihr es wagen, wo Ihr derjenige seid, der dafür verantwortlich ist!«
    »Zalumma«, warnte ich sie. Mein Vater hatte sich geirrt, und es war dumm von ihm gewesen, meine Mutter mit zu Savonarola zu nehmen, doch er hatte einzig und allein einen glücklichen Ausgang gewollt.
    »Es stimmt!«, zischte sie. »Zu guter Letzt habt Ihr zu Ende geführt, was Ihr vor langer Zeit begonnen habt. Geht also - geht jetzt und überlasst uns die Sorge um sie!«
    Mein Vater zog sich zurück und schloss wortlos die Tür hinter sich.
    Zalumma stand noch immer mit dem Gesicht zur Tür, am ganzen Körper angespannt und zitternd. Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter, aber sie schüttelte sie ab. Dann wirbelte sie zu mir herum. Jahrelang unterdrückter Abscheu sprudelte nun aus ihr heraus:
    »Er hat sie geschlagen! Verstehst du? Er hat sie geschlagen, und mir war auferlegt worden zu schweigen, solange sie lebt!«
20
    Ich kam mir vor wie der heilige Sebastian - von hundert Pfeilen durchbohrt, tödlich verwundet. Ich konnte nicht antworten.
    Stattdessen bewegte ich mich schwerfällig, schweigend, während Zalumma und ich den Leichnam meiner Mutter zu Ende wuschen, ihr die wollene camicia überzogen und den Leinenschleier in ihrem offenen Haar befestigten.
    Wir gingen hinaus, und ich rief nach den Dienern, damit sie Abschied von ihr nehmen konnten. An meine Worte kann ich mich nicht mehr erinnern.
    Bei ihrer Beerdigung auf dem Friedhof verkündete mein Vater laut, Savonarola habe recht, adveniat regnum tuum, das Ende der Welt stehe bevor; das sei auch gut, denn das würde bedeuten, er und seine geliebte Lucrezia seien schon bald wieder vereint.
    Als schließlich der Abend hereingebrochen war, suchte mein Vater mich auf.
    Ich war allein im Gemach meiner Mutter - und eigenartig entschlossen, in ihrem Bett zu schlafen -, als es an der Tür klopfte. »Herein«, sagte ich. Ich rechnete mit Za-lumma, die mich erneut anflehen würde, doch etwas zu essen.
    Statt ihrer stand mein Vater auf der Schwelle, noch immer in der locker sitzenden schwarzen Trauerrobe, dem mantello. »Zalumma«, sagte er in schüchternem, unsicherem Tonfall. »Sie war sehr aufgebracht ... Hat sie dir noch etwas gesagt? Über mich und deine Mutter?«
    Ich starrte ihn verächtlich an. »Was sie gesagt hat, reichte.«
    »Es reichte?«
    »Ja«, antwortete ich, »es reichte, um in mir den Wunsch aufkommen zu lassen, nie als dein Kind zur Welt gekommen zu sein.«
    Er hob das Kinn und blinzelte rasch. »Du bist jetzt alles, was ich noch habe«, sagte er in heiserem Flüsterton. »Der einzige Grund, warum ich noch atme.«
    Meine grausame Erwiderung hatte ihm offenbar die Antwort geliefert, die er gesucht hatte, denn er drehte sich um und verließ rasch das Zimmer.
    In jener Nacht schlief ich unruhig und wurde immer wieder von Träumen über meine Mutter wach - wir hatten einen Fehler gemacht, sie war überhaupt nicht gestorben, Fra Domenico hatte sie nicht umgebracht. Aus einem Traum schreckte ich nicht aus innerem Aufruhr hoch, sondern weil sich im Raum etwas regte. Ich hob den Kopf und machte im Dunkeln Zalummas große, vertraute Gestalt aus. Sie ging auf die Matratze auf dem Boden zu, auf der sie immer an der Seite meiner Mutter geschlafen hatte. Schließlich bemerkte sie, dass ich wach war und sie ansah.
    »Ich bin jetzt Eure Sklavin«, sagte sie, und mit diesen Worten nahm sie ihren Platz auf dem Boden an meiner Seite ein und legte sich zum Schlafen hin.
21
    Wir hatten kein glückliches Zuhause mehr. Während Za-lumma und ich unzertrennlich wurden, war unsere Zeit angefüllt mit häuslichen Pflichten, bar jeder Bedeutung. Ich setzte meine übliche Routine fort: ging an grauen Wintertagen anstelle meiner Mutter auf den

Weitere Kostenlose Bücher