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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Markt, kaufte Fleisch beim Schlachter und erledigte andere Einkäufe, die notwendig waren, um einen reibungslosen Ablauf des Haushalts zu gewährleisten, stets in Begleitung von Za-lumma und dem Kutscher. Nun jedoch hatte ich niemanden mehr, der mir Anweisungen erteilte; die Entscheidungen lagen jetzt allein bei mir.
    Ich ging meinem Vater wenn möglich aus dem Weg. Wir aßen voller Unbehagen, wenn wir zusammen speisten; an vielen Abenden hielt er sich noch lange in der Stadt auf unter dem Vorwand, er habe zu arbeiten, und so aß ich allein. Obwohl ich mir wünschte, so liebevoll und versöhnlich wie meine Mutter zu sein, konnte ich meinen Groll nicht verbergen; ich konnte nicht freundlich sein. Nicht ein einziges Mal kam es mir in den Sinn, um Vergebung für meine bösartige Bemerkung zu bitten, denn sie blieb wahr.
    In seinem Elend klammerte er sich an die Lehren von Savonarola: Er wiederholte oft die Prophezeiung des Mönchs, das Ende der Welt stehe kurz bevor, denn das allein - oder der Tod - würde ihn seiner geliebten Lucrezia näher bringen. Ich vermute, ihm blieb nichts anderes übrig, als zu glauben, Gott habe seine Gemahlin zu sich genommen, um ihr Leid zu ersparen; sonst hätte er sich seine Mitschuld an ihrem Tod eingestehen müssen. Und sonst hätte er Savonarola und den Dummkopf Domenico für die Mörder halten müssen. Zweimal täglich besuchte er die Messe in San Marco, stets mit Pico an seiner Seite.
    Pico wurde ein ständiger Besucher in unserem Haushalt. Mein Vater und er begannen sich beide in schlichte schwarze Gewänder zu kleiden, die man für Priestergewänder hätte halten können, wären sie nicht so fein geschneidert und aus exquisitem Stoff gewesen. Obwohl mein Vater den Grafen in höchstem Maße gastfreundlich behandelte - er sorgte dafür, dass er die besten Stücke aus unserer Küche und den besten Wein bekam -, legte er eine kühle Zurückhaltung gegenüber Pico an den Tag, die vor dem Tod meiner Mutter noch nicht vorhanden war.
    Beim Abendessen wiederholte mein Vater, was Fra Girolamo gesagt hatte. Er bemühte sich, den richtigen Ausdruck zu finden, genau die Gefühle hervorzurufen, die meine Versöhnlichkeit herbeiführen und mich anregen sollten, mit ihm die Messe in San Marco zu besuchen. Ich reagierte nie auf seine Beteuerungen, sondern widmete mich ausschließlich dem Essen auf meinem Teller.
    Zweimal täglich, bei Sonne und Regen, ging ich mit Za-lumma in die Kirche Santo Spirito in unserer Nachbarschaft. Das machte ich nicht, weil ich fromm sein wollte -ich hegte noch immer einen großen Groll gegen Gott -, sondern weil ich meiner Mutter nahe sein wollte. Nach Santo Spirito hatte sie sich am liebsten zurückgezogen. Ich kniete in der kalten Kirche nieder und schaute zum elegant geschnitzten Heiland am Kreuz empor. Auf seinem Gesicht lag kein Ausdruck des Leidens, vielmehr tiefe Ruhe. Ich hoffte, meine Mutter teilte diesen Frieden mit ihm.
    Auf diese Art und Weise vergingen drei elende Wochen. Dann klopfte es eines Abends an meine Tür, nachdem ich allein gegessen hatte, weil mein Vater sich verspätete.
    Ich hatte in dem kostbaren Dante-Band meiner Mutter gelesen und versucht zu entscheiden, in welchem Kreis des Himmels Fra Girolamo sich wohl ansiedeln würde; hatte versucht zu entscheiden, in welchen Kreis der Hölle ich ihn verbannen würde.
    Zalumma war bei mir. Sie hatte ihre Trauer, so gut sie konnte, für sich behalten und ihre Tränen verborgen, doch sie hatte meine Mutter viel länger gekannt als ich. Wenn ich nachts nach beunruhigenden Träumen aufwachte, saß sie aufrecht und reglos im Dunkeln. Tagsüber nahm sie sich meiner mit Inbrunst an. Als es an jenem Abend klopfte, hockte sie neben unserer gemeinsamen Öllampe und bestickte eins der Taschentücher für meinen cassone, meine Hochzeitstruhe.
    »Herein«, sagte ich zögernd. Ich kannte die Art des Klopfens und hatte keine Lust auf Konversation.
    Mein Vater machte die Tür halb auf. Er trug noch seinen schweren schwarzen Mantel und seine Kappe. Er ließ sich gegen den Türpfosten fallen und sagte mit müder Stimme:
    »Unten im großen Zimmer ist Stoff. Ich habe ihn von den Dienern für dich ausbreiten lassen. Es war zu viel, um ihn hier herauf zu schaffen.« Er machte Anstalten zu gehen, als wären allein diese Worte Erklärung genug.
    »Stoff?«
    Meine Frage ließ ihn innehalten. »Such dir etwas aus, und ich werde dir einen Schneider kommen lassen. Du sollst ein neues Kleid haben. Mach dir keine Sorgen um die

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