Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
meiner Mutter, dann packte ich fest zu und half ihm auf die Beine.
»Wir brauchen nicht lange«, sagte ich, führte ihn an die Tür und schloss sie hinter ihm.
Dann drehte ich mich zum Bett um. Dabei sah ich, wie Zalumma voll unendlicher Trauer, gepaart mit reinster Liebe, auf meine Mutter schaute. Schon lagen wir uns schluchzend in den Armen.
»Wie konnte das geschehen?«, keuchte ich, das Kinn an ihre Schulter gepresst. »Wie konnte Gott nur so etwas Entsetzliches zulassen?«
»Gott stellt die Menschen vor die Wahl, Gutes oder Schlechtes zu tun«, murmelte Zalumma. »Nur zu oft vollbringen sie Letzteres.«
Ich hatte meine Mutter über alles in der Welt geliebt; was meinen Vater betraf, war das, was ich an Liebe für ihn empfunden hatte, nun vergiftet. Jetzt gab es nur noch Za-lumma, einzig und allein Zalumma. Meine Mutter und ihre lebensnotwendige Pflege hatte uns zusammengeschweißt; nun mussten wir uns ein neues Ziel suchen.
Zalumma tätschelte mir den Rücken, wie man es bei einem kleinen Kind tun würde. »Genug, genug«, sagte sie seufzend. Ich löste mich von ihr und kam allmählich zur Ruhe.
»Schau dich nur an«, sagte ich mit einem gänzlich unpassenden Anflug von Humor, wobei ich ihren wilden Haarschopf und die rotbraunen Schlieren in ihrem Gesicht betrachtete. »Du könntest den tapfersten Helden in Angst und Schrecken versetzen.«
»Dasselbe könnte ich von Euch behaupten«, stellte Za-lumma mit müdem Lächeln fest. »Am besten waschen wir uns zuerst die Hände, aber dann müssen wir uns beeilen.« Ihre Miene verfinsterte sich, als sie gegen ihre Tränen ankämpfte. »Es dauert nicht mehr lange, dann wird sie steif.«
Wir traten jeweils an eine Bettseite und machten uns an die Arbeit. Zuerst banden wir die extravaganten Brokatärmel mit der Goldstickerei auf; dann kam das schwere Überkleid meiner Mutter an die Reihe, das auch aus grünem Samt bestand. Das eng sitzende Kleid, die gamurra, zogen wir als Nächstes aus; zuletzt die verspritzte, fleckige camicia, das Unterkleid aus elfenbeinfarbener Seide. Schließlich lag sie nackt vor uns. Zalumma streifte ihr den Smaragdring ab und übergab ihn mir feierlich. Ohrringe und Kette, alles musste entfernt werden; Schmuck war nicht erlaubt.
Als Zeichen ihrer Ehrerbietung reichte Zalumma mir eines der Handtücher und überließ mir die Aufgabe, meiner Mutter das Blut aus dem übel zugerichteten Gesicht zu wischen. Immer wieder tauchte ich das Tuch in die Schüssel, bis das Wasser ganz trübe wurde.
Zalumma fiel es auf. »Ich hole frisches Wasser«, sagte sie, denn obwohl ich mit dem Gesicht meiner Mutter fast fertig war und Zalumma mit den Händen, war am Hals und auf der Brust noch mehr Blut.
Nachdem Zalumma hinausgegangen war, nahm ich die beste weiße wollene camicia meiner Mutter aus dem Schrank, außerdem einen weißen Leinenschleier - laut Gesetz durfte sie nur ein schlichtes weißes Gewand tragen, wofür nur reine Wolle oder Leinen zugelassen waren. Dann fand ich ihren Kamm und gab mir die größte Mühe, ihr Haar zu entwirren. Es war schrecklich in Unordnung, doch ich ging möglichst behutsam vor und zog den Kamm zunächst durch die Spitzen, um mich anschließend vorsichtig nach oben vorzuarbeiten. Ihre Haare rochen nach Rosenwasser und Eisen.
Während ich ihr die zerzausten Haare kämmte, nahm ich ihren Kopf in eine Hand, um die Locken hinten im Nacken zu erreichen. Dabei veränderte ich behutsam die Lage des Kopfes und spürte, wie die Zinken des Kamms über eine Kerbe auf ihrer Kopfhaut fuhren.
Das Gefühl war so eigenartig, dass ich innehielt, den Kamm beiseite legte und mit unsicheren Fingern die Einkerbung im Schädel meiner Mutter fand, zwischen Schläfe und linkem Ohr. Ich teilte das Haar und entdeckte die Narbe.
Meine Mutter hatte immer darauf bestanden, sich von Zalumma und keiner anderen Sklavin das Haar richten zu lassen. Selbst mir hatte sie nie erlaubt, es zu berühren.
In diesem Augenblick kam Zalumma wieder ins Zimmer, vorsichtig auftretend, um kein Wasser zu verschütten. Als sie meinen erschrockenen Ausdruck bemerkte, riss sie die Augen weit auf; sie stellte die Wasserschüssel auf den Nachttisch meiner Mutter und schloss die Tür.
»Sie hat eine Wunde am Kopf«, sagte ich mit schriller Stimme. »Eine Wunde und eine Narbe.«
Ich folgte ihr mit dem Blick, als sie bedächtig zwei Handtücher im Wasser auswrang und mir eins davon reichte.
»Du hast es gewusst«, sagte ich. »Du hast es von Anfang an gewusst. Warum hast
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