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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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verringert; viele hatten Fackeln angezündet, und die gewundenen Reihen sahen aus wie große, glitzernde Schlangen.
    Weder Zalumma noch ich hatten die Kraft, uns ins Kirchenschiff zu zwängen; ihre nachdrückliche Aufforderung, man solle eine Adlige doch vorbeilassen, wurde mit höhnischem Gelächter quittiert.
    Ich drehte mich um und dachte daran, wieder in den Garten zu gehen, doch Zalumma hielt mich am Arm fest. »Bleibt hier«, drängte sie. »Hört Ihr das? Sie haben aufgehört, seine Predigt weiterzugeben. Die Messe ist fast vorbei; Euer Vater wird bald draußen sein.« Leiser fügte sie hinzu: »Hätte er kommen können, dann hätte er auf Euch gewartet.«
    Ich wandte mein Gesicht ab und schrak bei einem nahen Donnerschlag zusammen. Ein Raunen lief durch die Menge; ein alter Mann rief: »Er sagt die Wahrheit. Gottes gerechte Strafe ist da!«
    Unerklärliche Angst packte mich.
    Als mein Vater aus der Kirche trat, Pico im Gefolge, schimpfte er nicht mit mir, wie ich es erwartet hatte. Im Gegenteil: Er war freundlich. Er half mir in die Kutsche und sagte: »Ich weiß, dass es dir in der letzten Zeit nicht gutging. Und ich weiß, wie schwer es für dich ist, Fra Girolamo zu sehen . Doch mit der Zeit wird dein Herz heilen. Hör zu«, sagte er mit vor Rührung bebender Stimme, »deine Mutter lächelt heute Abend vom Himmel auf dich herab.«
    Kaum waren wir zu Hause, brach der Sturm los.
    In jener Nacht wurde ich von krachendem Donner und Blitzen wach, die so hell waren, dass ich sie mit geschlossenen Augen wahrnahm. Das Gewitter war so heftig, dass wir nicht schlafen konnten. Deshalb traten Zalumma und ich ans Fenster, schauten auf den Arno hinaus und beobachteten die gezackten Blitze, die den Himmel erhellten.
    Als sich der Sturm schließlich verzogen hatte und wir wieder ins Bett gingen, sank ich in einen von bösen Träumen beherrschten Schlaf.

31
    Am nächsten Morgen gingen wir auf den Markt. Ich war aufgewühlt, niedergeschlagen bei dem Gedanken, Giuliano habe womöglich seine Meinung geändert und sein Vater oder Piero könnten ihn von der Torheit überzeugt haben, unter seinem Stand zu heiraten.
    Schon auf der Fahrt in der Kutsche spürte ich, dass sich etwas Bedeutendes in der Stadt ereignet hatte. In den bot-teghe hatte man die Waren der meisten Kunsthandwerker noch nicht ausgestellt; in den Läden, die geöffnet waren, hockten die Besitzer mit ihren Kunden in ernsthafte Unterhaltungen vertieft. In den Durchfahrten standen die Menschen in Gruppen beieinander und tuschelten.
    Unser erster Halt war beim Schlachter. Er war ein älterer Mann, gedrungen und untersetzt; er war so kahl, dass sein rosa Schädel in der Sonne glänzte. Schon meine Großmutter war Kundin bei ihm, und nach ihr meine Mutter. Er arbeitete an der Seite seines jüngsten Sohnes, dessen goldblondes Haar bereits so schütter war, dass am Hinterkopf eine kahle Stelle entstanden war.
    An jenem Tag hatte der Schlachter sein zuvorkommendes Lächeln und die gute Laune eingebüßt. Er beugte sich mit finsterer Miene vor; ich dachte sofort, dass jemand gestorben sei.
    »Habt Ihr es schon gehört, Monna Lisa?«, fragte er, noch ehe ich mich nach der Angelegenheit erkundigen konnte. »Habt Ihr das mit Santa Maria del Fiore gehört?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Was ist mit dem Dom?«
    »Eingestürzt«, sagte er bedeutsam. »Gott hat Blitz und
    Donner geschickt, und schließlich ist die große Kuppel heruntergefallen.« Er bekreuzigte sich.
    Mir stockte der Atem. Wie entsetzlich, sich vorzustellen, dass der herrliche Dom in Trümmern lag ...
    »Aber ich habe ihn doch gesehen, als wir über die Brük-ke gefahren sind«, sagte Zalumma stirnrunzelnd. »Er steht noch. Wenn er eingestürzt wäre, hätten wir die Lücke doch bemerkt. Schaut!« Sie streckte den Arm aus. »Man kann sogar von hier aus einen Blick darauf werfen!«
    Der Schlachter reagierte hitzig. »Die Mitte. Genau die Mitte ist eingestürzt. Was Ihr seht, ist die äußere Hülle. Wenn Ihr mir nicht glaubt, geht doch hin und seht es Euch mit eigenen Augen an. Ich weiß es aus erster Hand.«
    Sein Sohn, der gerade einen Lammkopf spaltete, um an das Hirn heranzukommen, schnappte unsere Unterhaltung auf und rief über die Schulter: »Es heißt, das war Lorenzo de' Medicis Werk. Er soll einen Zauberring mit einem Geist darin besitzen, der letzte Nacht entkommen ist und die Verwüstung angerichtet hat.«
    Sein Vater schnaubte und schüttelte den Kopf. »Aberglaube! Aber . ich muss zugeben, dieser

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