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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Lisa«, sagte er freundlich, obwohl es ihn Mühe kostete, seine Tränen zurückzuhalten.
    »Ich freue mich, Euch wiederzusehen, und bin traurig, dass es unter diesen Umständen sein muss.«
    Er nahm mich am Arm, um mich ins innere Heiligtum zu geleiten - da wurden wir von lauten Stimmen aufgehalten, die durch den Korridor hallten und sich unter dem Geräusch schneller Schritte auf uns zubewegten. Ich drehte mich um und sah Giovanni Pico, der Savonarola in unsere Richtung führte; dahinter folgten Piero und Giovanni de' Medici.
    Pieros Gesicht war gerötet und tränenüberströmt. »Ihn hierher zu bringen ist Verrat an uns! Warum spuckt Ihr nicht einfach auf uns in Zeiten unseres größten Kummers? So etwas wäre viel netter als das hier!«
    Gleichzeitig donnerte sein Bruder Giovanni: »Wagt es nicht, uns zu missachten! Haltet Euch von ihm fern, sonst rufe ich die Wachen!«
    Als sich Pico und Savonarola der geschlossenen Tür und Ser Marsilo näherten, erhob sich Alfonsina, ohne darauf zu achten, dass ihr der Schal von den Schultern gerutscht war, und schlug Pico so fest ins Gesicht, dass er einen Schritt zurück taumelte.
    »Verräter!«, kreischte sie. »Wollt Ihr uns verspotten, indem Ihr diesen Affen gerade jetzt unter unser Dach bringt? Hinaus! Verschwindet, alle beide!«
    Michelangelo beobachtete die Szene mit den hilflosen Augen eines Kindes; er eilte weder Alfonsina zu Hilfe, noch ergriff er das Wort für seinen Propheten. Händeringend murmelte Marsilo: »Madonna, Ihr dürft Euch nicht so aufregen .«
    Pico war angesichts dieses feindseligen Widerstandes wie betäubt; offenbar hatte er mit einem freundlicheren Empfang gerechnet. »Madonna Alfonsina, ich möchte Eurer Familie keinen Schmerz zufügen - aber ich muss tun, was Gott mir befiehlt.«
    Savonarola blieb stumm, den Blick nach innen gerichtet, die steife Haltung verriet sein Unbehagen.
    Die Tür zum inneren Gemach ging auf; alle drehten sich um, als erwarteten sie einen Orakelspruch.
    Im Türrahmen stand mein Giuliano, die Stirn missbilligend in tiefe Falten gelegt. »Seid still, allesamt!« Er schien älter als beim letzten Mal, als wir uns gesehen hatten. Er war nicht einmal fünfzehn, und während auf seiner Haut und seinen Haaren der Glanz der Jugend lag, waren seine Augen und seine Haltung die eines Mannes, der von vielen Sorgen niedergedrückt wurde. »Was gibt's?«
    Noch während er die Frage stellte, fiel sein Blick auf Savonarola. Kurz blitzte Verachtung in seinen Augen auf, die sofort einer ungewöhnlich vorsichtigen Haltung Platz machte. Sein Tonfall wurde freundlich und besorgt.
    »Ich bitte Euch alle. Bedenkt, dass Vater uns noch hören kann. Wir tragen Verantwortung für ihn - für ihn, der immer für uns da war -, um ihm die letzen Augenblicke so ruhig und heiter wie möglich zu gestalten. Wir wollen ihn nicht noch mehr in Schrecken versetzen.«
    Alfonsina, die Pico und seinem Begleiter noch immer wütende Blicke zuwarf, hob ihren Schal auf und warf ihn sich über die Schultern.
    Giuliano nahm es zur Kenntnis. »Piero«, rief er seinem Bruder leichthin zu. »Deine Frau hat den ganzen Tag nichts gegessen. Nimmst du sie mit und sorgst dafür, dass sie eine Mahlzeit bekommt? Es würde Vater glücklich machen, wenn er weiß, dass man für ihr Wohl sorgt ...«
    Deutlich sichtbar unterdrückte Piero seinen Zorn. Er nickte und legte Alfonsina einen Arm um die Schultern. Sie schaute liebevoll zu ihrem Gemahl auf; es war offensichtlich, dass sie ihn liebte und er diese Liebe erwiderte. Ich sah, wie sich Giulianos Ausdruck bei ihrem Anblick leicht veränderte: Er war gerührt, froh und zutiefst erleichtert, dass diese beiden sich nun umeinander kümmern würden.
    Dann wandte er sich an seinen Bruder, den Kardinal: »Lieber Bruder, hast du alle Vorkehrungen getroffen?«
    Der stattliche, zerknitterte Giovanni schüttelte den Kopf. Wie Giuliano hatte auch er nicht geweint; seine Haltung schien eher einer natürlichen Reserviertheit zu entspringen denn dem Wunsch, anderen Schmerz zu ersparen. Sein Tonfall war nüchtern, bar jeder Gefühlsregung, die alle anderen ergriffen hatte. »Nicht alle Einzelheiten des Gottesdienstes. Ein einleitender Choral will mir nicht einfallen ...« Eine leise Wut schlich sich in seine Worte. »Vater hat es sich leicht gemacht, als er nur den Psalm und ein Kirchenlied aussuchte. Solche Dinge bedürfen vorausschauender Planung, da sie einen bleibenden Eindruck bei der Menge hinterlassen.«
    Giulianos Rede war ungekünstelt

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