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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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sechste April. In Anbetracht der folgenden Ereignisse erinnere ich mich noch genau an das Datum.
    Der Morgen war noch klar gewesen, doch bei Sonnenuntergang kamen dunkle Wolken am Himmel auf; der Wind brachte den Geruch von Regen mit sich. Hätte ich einem Treffen mit Giuliano nicht so sehnsüchtig entgegengefiebert und hätte mein Vater nicht unbedingt die Predigten des Propheten hören wollen, dann hätten wir auch zu Hause bleiben können, um dem heraufziehenden Unwetter zu entgehen.
    Die Menge der Gläubigen vor San Lorenzo war sogar noch weiter angewachsen; die Aussicht auf schlechtes Wetter hatte sie keineswegs entmutigt.
    Wieder einmal war ich gezwungen, Graf Pico zu begegnen, der uns mit seiner üblichen schmierigen Höflichkeit begrüßte, und Fra Domenico, der uns den Platz in der Nähe der Kanzel frei hielt und dann verschwand. Da ich äußerst nervös war, kann ich mich nur vage an den Gottesdienst, geschweige denn an die Predigt erinnern; doch Fra Girolamo stieß seine einleitenden Worte mit einer solchen Vehemenz hervor, dass ich sie nie vergessen werde.
    »Ecce gladius Domini super terram cito et velociter!«, rief er so voller Inbrunst, dass vielen Zuhörern der Atem stockte. »Siehe das Schwert des Herrn, geschwind und behende über der Erde!«
    Die Gläubigen verstummten auf der Stelle. Das einzige
    Geräusch in der großen Kathedrale waren Savonarolas heiser, ekstatisch vorgebrachte Proklamationen.
    Gott habe zu ihm gesprochen, behauptete Fra Girolamo. Er habe am Abend zuvor versucht, eine Predigt über den auferstandenen Lazarus zu verfassen, doch die richtigen Worte hätten ihm gefehlt - bis Gott persönlich laut zu seinem Propheten gesprochen habe.
    Gottes Geduld sei auf die Probe gestellt worden; ER werde Seine Hand nicht mehr zurückhalten. Gottes gerechte Strafe sei nah, die Strafe Gottes sei da, und nichts könne sie aufhalten. Nur die Gläubigen würden verschont. Er sprach so überzeugend, dass ich Mühe hatte, mich nicht zu ängstigen.
    Die Luft war warm und stickig. Ich schloss die Augen, schwankte und hatte mit einem Mal das sichere Gefühl, aus der Menge ausbrechen zu müssen, um mich nicht dort in der Kathedrale zu übergeben. Verzweifelt packte ich Za-lummas Arm. Sie hatte auf das verabredete Zeichen gewartet, doch als sie meine tatsächliche Not sah, war sie ernsthaft besorgt.
    »Ihr ist schlecht«, sagte sie meinem Vater, der jedoch wieder einmal völlig gebannt dem Propheten lauschte und nichts anderes wahrnahm. Zalumma schob mich daher durch das Gedränge nach draußen an die kühle Luft.
    Die Worte aus Savonarolas Mund wurden von einem zum anderen weitergeflüstert, bis sie ihren Weg nach draußen auf die Kirchentreppe fanden, wo ein Bauer sie den dort Versammelten zurief.
    Tue Buße du, o Florenz! Mütter, weint um eure Kinder!
    Die schwarzen, dräuenden Wolken hüllten den frühen Abend in nächtliches Dunkel. Ein kalter Wind vom Arno brachte einen fauligen Gestank mit sich. Die Freiheit und die Luft belebten mich ein wenig, obwohl ich Giulianos Bericht mit Bangen entgegensah.
    Wir steuerten den Kirchgarten an; ich öffnete das Tor. Dahinter herrschte Dunkelheit, vor der sich die schwarzen Umrisse von Bäumen abhoben, deren Äste mit jedem frischen Windstoß schwankten und Blüten durch die Luft segeln ließen.
    Giuliano aber war nicht da.
    Noch nicht, sagte ich mir unbeirrt. Ich mühte mich ab, den Wind zu übertönen, und rief Zalumma zu: »Wir warten.«
    Den Blick fest auf das offene Tor geheftet, versuchte ich, Giuliano und seinen Begleiter aus den Schatten heraufzubeschwören. Zalumma teilte meine Hoffnung nicht; sie hatte das Gesicht dem sternenlosen Himmel zugewandt und beobachtete aufmerksam den heraufziehenden Sturm. In der Ferne schwebte die Stimme eines Mannes über der Brise.
    Das sind Gottes eigene Worte. Ich bin ein unwürdiger Bote; ich weiß nicht, warum Gott mich auserwählt hat. Schenke meinen Schwächen keine Beachtung, o Florenz, und richte dein Herz dafür auf die Stimme dessen, der dich nun warnt.
    Wir warteten, so lange es ging. Ich wäre noch länger geblieben, doch Zalumma tippte mir auf die Schulter. »Höchste Zeit. Sonst schöpft Euer Vater Verdacht.«
    Schweigend setzte ich mich zur Wehr, bis sie mich am Ellenbogen nahm und zum Tor zog. Ich ging zur Kirche zurück, Hals und Brustkorb waren wie zugeschnürt, da ich meinen inneren Aufruhr nicht zeigen durfte. Trotz des unheimlichen Wetters hatte sich die Menge auf der Treppe und dem Platz nicht

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