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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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mich um - und stand plötzlich vor einem hageren, hoch aufgeschossenen Mann mit einem langen, spitzen Kinn, dessen Gesicht eine flüchtige und unangenehme Erinnerung in mir wachrief. Er nickte mir grüßend zu; verblüfft nickte ich zurück, obwohl ich ihn nicht einzuordnen vermochte.
    Zalumma und ich zwängten uns durch die Barriere reuiger Sünder - zuerst auf die großen, offenen Türen zu, dann die Treppe hinunter, danach durch die Menge auf der Piazza, die sich so nah wie möglich an die Kirche heranschob in der Hoffnung, ein Wort des großen Propheten aufzufangen oder wenigstens einen Blick auf ihn zu erhaschen.
    Sobald wir frei standen, verrenkte ich mir den Hals auf der Suche nach unserem Kutscher. Er war nirgendwo zu sehen - ein Segen. Ich nickte Zalumma zu, und wir eilten zum Kirchgarten, von Mauern umgeben und versteckt hinter einem Tor.
    Dahinter, jenseits der steinernen Monumente für die Toten und eines Pfades, der von blütenlosen, dornigen Rosenbüschen gesäumt war, standen zwei verhüllte Männer -stattlich der eine, von durchschnittlicher Größe der andere
    - unter den Zweigen eines knospenden Baumes. Das Tageslicht nahm schon ab, doch als der kleinere seine Kapuze zurückschlug, erkannte ich ihn auf Anhieb.
    »Giuliano!« Wir rannten beinahe aufeinander zu. Unsere jeweiligen Begleiter - der seine mit finsterem Blick, das lange Schwert gezückt - blieben zwei Schritte hinter uns.
    Er nahm meine Hand - diesmal ein wenig unbeholfen -und verneigte sich, um sie zu küssen. Seine Finger waren lang und schlank, so wie die seines Vaters wohl einst gewesen sein mochten, bevor sie vor Krankheit und Alter krumm wurden. Wir starrten uns an und fanden keine Worte. Seine Wangen waren gerötet und tränenüberströmt.
    Nachdem er sich unter großen Mühen wieder gefangen hatte, sagte er: »Vater ist so krank, dass er kaum sprechen kann; heute hat er mich nicht erkannt. Die Ärzte machen sich Sorgen. Ich hatte Angst, ihn allein zu lassen.«
    Ich drückte seine Hand. »Das tut mir so leid. Aber er war zuvor schon sehr krank und hat sich wieder erholt. Ich werde für ihn beten, dass Gott ihn wieder gesund macht.«
    Er deutete mit dem Kinn auf das Kirchenschiff. »Stimmt es, was die Leute sagen? Dass Savonarola gegen ihn predigt? Dass er unfreundliche Dinge sagt?«
    Ich antwortete nur zögernd. »Er hat ihn nicht namentlich genannt. Aber er verflucht alle, die über Wohlstand, Kunstwerke und Macht verfügen.«
    Giuliano senkte den Kopf; sein lockiges braunes Haar, das ihm bis ans Kinn reichte, fiel nach vorn. »Warum hasst er Vater? Er hat jetzt solche Schmerzen ... Ich kann es nicht ertragen, ihn stöhnen zu hören. Warum sollte jemand all das zerstören wollen, was meine Familie für Florenz getan hat? All die Schönheit, die Philosophie, die Gemälde und Skulpturen .
    Mein Vater ist ein freundlicher Mann. Er hat den Armen immer reichlich gegeben .« Er hob den Kopf wieder und betrachtete mich. »Ihr glaubt so etwas doch nicht, oder, Madonna? Oder gehört Ihr jetzt etwa zu den piagno-ni ?«
    »Natürlich nicht!« Seine Feststellung hatte mich dermaßen gekränkt, dass meine Empörung ihn sofort überzeugte. »Ich wäre überhaupt nicht hier, wenn es nicht die einzige Möglichkeit gewesen wäre, Euch zu sehen. Ich verachte Fra Girolamo aus vollem Herzen.«
    Seine Schultern entspannten sich ein wenig nach meinen Worten. »Da bin ich aber froh . Lisa - darf ich Euch so anreden?« Als ich nickte, fuhr er fort. »Lisa, ich bedau-re, dass meine Sorgen unsere Begegnung so beeinträchtigen. Denn ich möchte eine Sache ansprechen, die Ihr vielleicht absurd findet .«
    Ich atmete tief ein und hielt die Luft an.
    »Der Abend, an dem Ihr uns besucht habt - ich konnte an nichts anderes mehr denken. Ich denke nur noch an Euch, Lisa. Und obwohl ich noch zu jung bin und obwohl mein Vater Einwände haben wird, möchte ich nichts lieber ...«
    Verlegen schlug er die Augen nieder, als er nach Worten suchte. Ich meinerseits konnte kaum glauben, was ich da vernahm, obwohl ich oft genug davon geträumt hatte.
    Er hielt meine Hand noch immer; sein Griff wurde fester, und seine Finger bohrten sich allmählich schmerzhaft in mein Fleisch. Schließlich schaute er zu mir auf und verhaspelte sich beinahe, als er sagte: »Ich liebe dich - es ist schrecklich, ich kann nachts nicht schlafen. Ich will nicht leben ohne dich. Ich will dich heiraten. Ich bin jung, aber reif genug, um zu wissen, was ich will; ich habe mehr Verantwortung getragen

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