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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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und ernst. »Wenn überhaupt jemandem, dann vertrauen wir dir, die richtige Wahl zu treffen, auch wenn nicht viel Zeit bleibt. Vielleicht wird das Gebet helfen.« Er seufzte. »Brüder, geht und tut, was ihr könnt. Ihr wisst, dass wir euch rufen lassen, sobald sich Vaters Zustand verschlimmert. Und jetzt will ich mich um unseren unerwarteten Gast kümmern.«
    Alfonsina und die beiden Brüder strichen hocherhobenen Hauptes an Pico und Savonarola vorüber. Als sie außer Hörweite waren, sagte Giuliano freundlich, als spräche er mit einem geliebten Kind: »Michelangelo, mein Bruder. Hast du etwas gegessen?«
    Der große Kopf hob sich; gequälte Augen schauten den
    Fragenden an. »Ich möchte nicht. Ich kann nicht. Nicht, solange er leidet.«
    »Wäre dir leichter ums Herz, wenn du betest?«
    Der junge Bildhauer schüttelte den Kopf. »Ich bin da, wo ich sein möchte. Ich bin nicht wie die anderen, Giulia-no. Du musst dir um mich keine Sorgen machen.« Als wolle er seine Aussage unter Beweis stellen, richtete er sich auf und faltete die Hände im Schoß, darum bemüht, Haltung zu wahren; Giulianos Mundwinkel zuckten vor Zuneigung und Skepsis, doch er ließ den jungen Mann in Ruhe.
    Dann drehte er sich um und wandte sich an Pico und den Mönch: »Meine Herren, bitte nehmt Platz. Ich werde mich mit meinem Vater beraten, ob er kräftig genug ist, Euch zu empfangen. Zunächst aber muss ich mit einer Freundin sprechen.« Er machte eine Pause. »Lieber Marsi-lo, kümmerst du dich um Ser Giovanni und Fra Girolamo? Sie haben einen langen Weg hinter sich und möchten vielleicht etwas zu sich nehmen.«
    Schließlich nahm er mich am Arm, führte mich über die Schwelle und schloss die Tür hinter uns. In dem Augenblick, bevor er mich ins Zimmer brachte, sahen wir uns an, und es war, als wären wir allein - doch es herrschte keine Freude zwischen uns. Sein Ausdruck war dumpf, seine Augen zeugten von Anspannung.
    »Es war sehr nett von dir herzukommen, als Vater nach dir verlangte«, sagte er, als spräche er mit einer Fremden. »Ich muss mich entschuldigen, dass ich unser Treffen im Garten nicht einhalten konnte ...«
    »Das ist nicht der Rede wert«, sagte ich. »Es tut mir so unendlich leid. Dein Vater ist ein guter Mann, so wie du.« Ich wollte seine Hand nehmen.
    Er zog sich zurück; Gefühle wallten in ihm auf. »Ich kann nicht ...« Die Stimme versagte ihm. »Für uns hat sich nichts verändert, Lisa. Das verstehst du doch sicher. Aber ich muss stark sein, und jeder Beweis von Sanftheit macht es mir schwer ... Es ist für Vater, verstehst du?«
    »Ja. Aber warum hat er ausgerechnet mich kommen lassen?«
    Giuliano schien die Frage zu verblüffen. »Er mag dich. Das ist seine Art. Und ... du weißt, dass er Michelangelo wie einen Sohn großgezogen hat, nicht wahr? Eines Tages hat er ihn auf unserem Gelände entdeckt, wie er einen Faun skizzierte. Er hat seine Begabung erkannt. Und in dir muss er etwas sehen, das gehegt und gepflegt werden will.«
    Er führte mich an ein großes Bett, auf dem Lorenzo aufrecht an mehreren Kissen lehnte, mit Pelzen und Samtüberwürfen zugedeckt. Seine Augen waren trüb und schauten in weite Ferne; müde blickte er auf, als ich mich dem Bett näherte. Ein fauliger Geruch hing im Raum.
    Auf einem Stuhl in der Nähe des Bettes saß ein weiterer Mann neben einem Tisch, auf dem ein Kelch, Edelsteine, Mörser und Stößel bereitgestellt waren.
    »Der Arzt meines Vaters.« Giuliano deutete auf ihn. »Pier Leone, Madonna Lisa Gherardini.«
    Der Arzt nickte mir kurz zu, ohne etwas zu sagen. Sein Gesicht war eingefallen wie der ganze Körper - niedergedrückt von der Hilflosigkeit, die sich in seinen Augen spiegelte.
    »Die anderen ...«, röchelte Lorenzo. Da merkte ich, dass er nicht mehr so gut sehen konnte, um mich zu erkennen. Giuliano setzte sich rasch auf den Stuhl neben dem Bett.
    »Es wird gut für sie gesorgt, Vater«, sagte Giuliano mit klarer, fröhlicher Stimme. »Du musst dir keine Sorgen um sie machen. Piero hat Alfonsina mitgenommen, damit sie etwas zu essen bekommt, Giovanni ist mit den Vorkehrungen für deinen Gottesdienst beschäftigt, und Michelangelo ...« Er hielt inne, um sich eine Notlüge auszudenken. »Er betet in der Kapelle.«
    Lorenzo murmelte ein paar Worte.
    »Ja, ich habe ihn gerade gesehen«, sagte Giuliano. »Das Gebet hat ihm großen Trost gespendet. Du musst dich nicht sorgen.«
    »Guter Junge«, krächzte Lorenzo. Blind und mit großer Anstrengung hob er eine Hand nur

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