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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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blickte er an mir vorbei auf etwas oder jemanden, der für uns unsichtbar war; er kniff die Augen zu und verzog das Gesicht zu einer bekümmerten Grimasse. Seine Stimme war nur ein Flüstern, doch die Erregung verlieh ihr mehr Kraft, sodass ich jedes Wort verstand.
    »Der dritte Mann. Ich habe dich im Stich gelassen .
    Wie kann ich gehen? Was Leonardo betrifft, er und das Mädchen .«
    Phantasien eines Sterbenden, dachte ich, doch Giuliano wandte sich sogleich wieder seinem Vater zu, die Augen zu Schlitzen verengt. Er verstand sehr gut, was Lorenzo sagen wollte, und es beunruhigte ihn. Tröstend legte er seinem Vater eine Hand auf die Schulter.
    »Mach dir darum keine Sorgen, Vater.« Er wählte seine Worte mit Bedacht. »Keine Bange. Ich werde mich um alles kümmern.«
    Lorenzo murmelte eine teilweise unverständliche Antwort; für mein Dafürhalten hatte er gesagt, Wie kann ich zu ihm gehen, wenn ich versagt habe? Schwach regten sich seine Gliedmaßen unter den Decken.
    Giuliano schaute zu mir auf. »Am besten ruht er jetzt einen Augenblick.«
    »Lebt wohl, Ser Lorenzo«, sagte ich laut.
    Er schien es nicht zu hören. Sein Kopf lehnte am Kissen; die Augen waren noch starr auf die Vergangenheit gerichtet.
    Ich trat vom Bett zurück. Giuliano begleitete mich; gemeinsam gingen wir zur Tür und in das kleine Vorzimmer, das uns zumindest ein wenig Ungestörtheit bot.
    Ich wusste nicht, wie ich mich angemessen von ihm verabschieden sollte. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass ich bis zu jenem Augenblick ein dummes Mädchen gewesen sei, das in seinen gesellschaftlichen Charme und seine Briefe vernarrt gewesen sei, ein törichtes Mädchen, das dachte, es sei verliebt, weil es sich nach einem Leben voller Schönheit und Kunst sehnte, frei vom Elend, das unter dem Dach seines Vaters herrschte.
    Ich wollte ihm sagen, er könne meiner Liebe nun wahrhaft gewiss sein - einer so echten Liebe, als wäre er mein Bruder, mein Blutsverwandter. Ich war verwundert und voller Demut, dass ein so leidenschaftlicher und starker Mensch mich erwählt haben sollte.
    Das alles sagte ich ihm nicht aus Angst, ihn zum Weinen zu bringen. Allerdings konnte ich dem Impuls nicht widerstehen, ihn zu umarmen, bevor ich ging; mit ehrlicher Zuneigung und Trauer hielten wir uns fest umschlungen, ohne ein Wort zu sagen.
    Er öffnete die Tür und übergab mich Marsilo Ficino, dann schloss er sie wieder. Ich wurde zur Kutsche geleitet. Die Nacht war klar und kühl. Ich lehnte mich aus dem Fenster und schaute zu den Sternen auf, zu traurig, um zu weinen.
    Als ich nach Hause kam, saß mein Vater im großen Empfangszimmer und starrte in den Kamin, sein gequälter Gesichtsausdruck vom Feuer korallenrot eingefärbt. Als ich vorbeiging, sprang er auf und kam zu mir, sein Gesicht eine einzige Frage.
    »Er hat mir eine große Mitgift vermacht«, sagte ich kurz und knapp.
    Neugierig, suchend schaute er mich an. »Was hat er noch gesagt?«
    Ich zögerte und beschloss dann, ehrlich zu sein. »Dass er mich liebt. Und dass Giuliano ein guter Mensch ist. Sein Verstand ließ ihn im Stich, und er sagte ein paar Dinge, die keinen Sinn ergaben. Das ist alles.«
    In seinem Blick lag unsägliches Elend. Er senkte den Kopf. Er ist wirklich traurig, erkannte ich. Er trauert ...
    Dann riss er den Kopf hoch. »Wer war da? Hat dich jemand gesehen?«
    »Lorenzo natürlich. Giuliano, Piero, dessen Gemahlin, Giovanni . und Michelangelo.« Ich trat einen Schritt zurück. Ich war nicht in der Stimmung, zu erzählen, was sich an jenem Abend abgespielt hatte. Schließlich fügte ich hinzu: »Pico hat Savonarola mitgebracht. Die Familie war sehr erbost.«
    »Pico!«, sagte er, und bevor er sich bremsen konnte, brach es aus ihm heraus: »War Domenico bei ihm?«
    »Nein. Aber ich möchte lieber ein anderes Mal darüber reden, bitte.« Ich war zu Tode erschöpft, hob die Röcke an und ging die Treppe hinauf, ohne mich darum zu kümmern, dass er hinter mir stehen blieb und jeden einzelnen meiner Schritte verfolgte.
    Zalumma schlief, als ich ins Zimmer kam. Um sie nicht zu wecken, zog ich mich nicht aus, lehnte mich auf das Fenstersims und beobachtete wieder die Sterne. Ich wusste, dass sie auf die Villa in Careggi schienen, und hatte das Gefühl, wenn ich sie anschaute, bliebe ich mit jenen verbunden, die dort die Nachtwache hielten.
    Etwa eine Stunde hatte ich dort gestanden, als hoch über mir ein Licht aufflackerte, dann über den dunklen Himmel zog und eine Spur rasch verblassenden

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