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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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allem denken das die Mütter. Ich tue das nicht. Mein Blickwinkel ist ein anderer: Mütter spüren vielleicht instinktiv, dass Schwierigkeiten in der Familie bestanden oder bestehen – etwa Auseinandersetzungen mit dem Partner –, die zu den Problemen der Tochter oder des Sohns beigetragen haben. Dafür geben sie sich selbst oft die Schuld. In der Regel existieren aber plausible Gründe für diese Beziehungsprobleme, die häufig in der Geschichte der Mutter oder des Vaters oder in der gemeinsamen Paar- und Familiengeschichte zu finden sind. Schuldzuweisungen sind deshalb völlig unangebracht. Es ist vielmehr hilfreich und wichtig, die Zusammenhänge der unterschiedlichen Lebensgeschichten zu entschlüsseln, um der Depression auf den Grund zu gehen.
    Kinder kann man nicht vor allem bewahren, das müssen Eltern akzeptieren lernen. Außerdem gibt es eine genetisch geprägte Empfindsamkeit, die manche Kinder eher zur Depression neigen lässtals andere. Wie gesagt: Ich plädiere dafür, dass Familien in einer kritischen Situation, wie zum Beispiel bei einem Schulwechsel, besser früher als später einen Therapeuten aufsuchen. Das ist nicht immer einfach. Ein flächendeckendes Angebot von Kinderpsychiatern und Kinderpsychologen ist leider nicht vorhanden. In den Ballungszentren ist es leichter, einen Therapeuten zu finden, aber selbst in den größeren Städten muss man nach einer Diagnostik fast immer mit einer Wartezeit bis zum Beginn einer Behandlung rechnen, im Durchschnitt sechs Monate. Wenn eine Jugendliche symptomatisch, aber aus Scham oder auch Misstrauennicht dazu zu bewegen ist, mit zum Kinderpsychiater oder -psychologen zu kommen, kann auch der Sozialpsychiatrische Dienst für Kinder und Jugendliche eine Chance sein, den Behandlungsbedarf einzuschätzen und Hilfsangebote in den Alltag zu integrieren.

7 Wer nicht kämpft, hat schon verloren – vom Abitur bis zum Volontariat
    N ach dem Abi wechselte ich also nach München, mein Vater hatte dort seit Jahren eine Zweizimmerwohnung in Schwabing gemietet. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er und seine Freundin nun fast jedes Wochenende in München waren, früher waren sie nur alle vier Wochen dorthin geflogen. Schnell wurde mir klar, dass ich besser nie da eingezogen wäre. Doch in eine andere Stadt zu gehen, die ich gar nicht kannte, davor hatte ich damals viel zu viel Angst, und in Hamburg bei meinem Vater zu wohnen, kam weiterhin nicht infrage.
    Auch in München stritten wir uns darüber, wie ich aussah, was ich trug und was ich aß. Sogar bei meinem Liebesleben wollte er mitreden: »Lass doch den Björn, in der Schulzeit war das vielleicht noch okay, aber jetzt suchen wir dir hier einen richtigen Freund, einen passenden.«Passend wäre ein Vorstandsmitglied eines renommierten Konzerns gewesen, ein Adeliger oder ein reicher Erbe. Björns Vater war Polizist, und das war meinem Vater zu wenig. Mich ärgerte diese Sichtweise. »Es ist ja wohl meine Sache, mit wem ich zusammen bin«, protestierte ich.
    Viele Kröten musste ich schlucken, aber ich ließ mir nicht alles verbieten. Björn war, genau wie Chiara, mein Notausgang. Sie verkörperten eine andere Welt, in der ich wenigstens ab und an sein konnte.
    Die Einrichtungsgegenstände in meinem Münchner Zimmer waren ein weiterer Streitpunkt. Nie werde ich vergessen, wie mein Vater und ich in einem Möbelhaus standen: Wir stritten uns, mir liefen die Tränen über die Wangen, und unser lautstarker Wortwechsel war mir vor dem verlegen dastehenden Verkäufer äußerst peinlich. Mein Traum waren ein schwarzer Kleiderschrank und ein schwarzes Bett gewesen, das war damals in. Mein Vater fand das nur »total daneben« und wollte mir einen Schrank, ein Bett und eine Regalwand mit integriertem Schreibtisch aus Kirschholz kaufen.
    Â»Ich finde aber die schwarzen Möbel schöner«, widersprach ich.
    Â»Jetzt mach nicht schon wieder so ein Theater. Die Kirschholz-einrichtung ist sehr teuer, du bist mal wieder so undankbar. Die nehmen wir jetzt, und damit basta«, erklärte mein Vater wütend. »Schwarz – wie kommst du darauf? Du hast einfach keinen Geschmack.«
    Neunzehn Jahre war ich alt und durfte nicht entscheiden, wie mein Zimmer aussehen sollte. Ich heulte vor Wut, weil ich gekränkt und vor allem so hilflos war. Zukünftig wohnte ich in einem Raum, der mir wie ein Hotelzimmer

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