Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
Instanzen dauerte mein Unterhaltsprozess, und im Nachhinein fühlte es sich genauso an wie in dem besagten Satz: Tatsächlich hatte ich das Gefühl, durch den Wolf gedreht zu werden.
Die Arbeit in der Bank hasste ich â inzwischen konnte ich mich Bankkauffrau nennen. Auf keinen Fall wollte ich weiter diesen Job ausführen. Mein Plan war es von Anfang an gewesen zu studieren. Und ich hatte ihn nicht vergessen. AuÃerdem war ich, ehrlich gesagt, keine gute Mitarbeiterin. Mir war klar, dass ich auf Dauer kaum meinen Lebensunterhalt mit diesem Beruf finanzieren könnte.
Täglich wartete ich auf den Brief der ZVS , der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen. Tatsächlich lag er eines Tages im Briefkasten. In dem Schreiben stand, dass man mir einen Platz für BWL in Hamburg hätte zuweisen können. Doch dass ich jetzt ein Studium aufnahm, wollte mein Vater nun natürlich nicht mehr, nicht mehr nach meinem Auszug aus seiner Münchner Wohnung, nicht mehr, nachdem ich ihn mit einem Anwalt konfrontiert hatte. Ãberhaupt sprachen wir bis zu seinem Tod 2009 nie wieder miteinander, sondern hatten nur noch über die Anwälte Kontakt. Im Prozess bekam ich am Ende Recht und auch Unterhalt zugesprochen, aber ich zahlte dafür einen hohen Preis. Denn was macht man, wenn es ein Urteil gibt, doch derjenige, der Unterhalt zahlen soll, sich weigert, dies zu tun? Und genau das tat mein Vater. Er überwies einfach nicht die Summe, zu der er gerichtlich verpflichtet worden war. Das Geld musste ich ihm pfänden, was sich als schwierig gestaltete, da er selbstständig war. Es gab kein Gehalt, das ich einklagen lassen konnte, und so lieà ich Mieteinnahmen pfänden, von Nachbarn, die bei meinem Vater in seinem Hamburger Haus wohnten. Es dauerte wieder ein ganzes Jahr, bis ich das Geld erhielt. Bis dahin lebte ich von der Hand in den Mund, von Nebenjobs (das Verdiente wurde mir später vom Unterhalt wieder abgezogen) und schlecht bezahlten Praktika. Ich bekam kein BAföG , keine staatliche Unterstützung für Studenten, weil mein Vater zu viel verdiente, und keine Sozialhilfe, weil ich ja Studentin war. Die Angst vor dem finanziellen Ruin verfolgt mich heute noch.
Glücklich war ich an den Wochenenden, die ich mit Björn bei seiner Familie verbrachte. Sowohl mit seinen Eltern als auch mit seinem jüngeren Bruder, der noch zu Hause lebte, und mit seiner Oma, die eine Einliegerwohnung im Erdgeschoss hatte, verstand ich mich gut. Am schönsten fand ich es, wenn seine Mutter durch den Flur rief: »Kinder, kommt! Essen!« Mit dieser Aufforderung war auch ich gemeint â ich gehörte dazu, war eines dieser Kinder. Wir rannten dann immer in die Küche, rissen die Deckel von den Töpfen und fragten: »Was gibt es denn?« Björns Mutter, ich durfte sie Heidrun nennen, schob uns lächelnd ins Esszimmer: »Nun setzt euch mal, es geht ja gleich los.«
Wir saÃen dann alle rund um den dunkelbraunen, alten Bauerntisch, zündeten Kerzen an und reichten uns gegenseitig Kartoffeln, SoÃe und ein Stück Sonntagsbraten. Björns Mutter ist eine hervorragende Köchin, und das gemeinsame Essen am Wochenende war stets ein Fest. Ãberhaupt hätte ich die ganze Zeit, die der Gerichtsprozess dauerte, nie ohne Björn und dessen Familie überlebt. Noch heute bin ich ihnen unendlich dankbar. Sie haben mich in vielem unterstützt, und bei ihnen fühlte ich mich wenigstens ein bisschen als Teil einer Familie.
Björn studierte Geschichte und Germanistik, und nach anderthalb Jahren Betriebswirtschaftslehre wechselte ich das Fach, lieà mich für Skandinavistik einschreiben. Sprachen lagen mir einfach viel mehr. Wir lernten viel, wollten aber auch Spaà haben. Doch statt ein unbeschwertes Studentenleben führen zu können, plagten mich Geldsorgen und Zukunftsängste. Jeder Brief vom Rechtsanwalt brachte mich zum Heulen. Unser Paar-Sein litt genauso darunter wie unser Sex. Meine Sorgen dominierten unsere Beziehung, was uns frustrierte.
Seit jeher schäme ich mich für mein Leben, das tat ich auch in den Jahren mit Björn. In meiner Wahrnehmung ist bei mir nichts normal, mein Dasein besteht aus lauter hässlichen Puzzleteilen, die kein schönes Bild ergeben. Noch heute, mit neununddreiÃig Jahren, sehne ich mich nach einer Bilderbuchfamilie, nach stabilen Verhältnissen. Eine Zeit lang habe ich meinen Vater verleugnet,
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