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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und Psychoanalytikerin. Vor Jahren hatte ich sie als Referentin gehört, und sie war mir als Spezialistin empfohlen worden. Als ich sie erneut traf, war ich wieder sehr beeindruckt von ihr. Sie ist groß und schlank, trägt einen dunklen Pagenkopf und hat einen festen Händedruck. Sie wirkte fast einschüchternd, und ich war froh, wie so oft, dass ich mich hinter fachlichen Fragen verstecken konnte.
    Frau Dr. Bindt, sechs Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland gelten als depressiv – das klingt nach einer erschreckend hohen Zahl.
    Ja, diese Zahl ist alarmierend, denn für uns als Experten gilt alles über ein Prozent als viel. Hat beispielsweise eine Schule 500 Kinder, wären ein Prozent davon fünf Kinder. Sechs Prozent wären schon dreißig Kinder mit depressiven Symptomen.
    Wie stellt man eine Depression bei Kindern und Jugendlichen fest?
    Die Patienten selbst und die Eltern berichten eine Vielzahl von Auffälligkeiten und Symptomen, die für sich genommen oft recht unspezifisch sind. In der strukturierten Diagnostik gibt es unterschiedliche Methoden. Da sind zum einen normierte Fragebögen, die Eltern und Kinder ausfüllen können, wie zum Beispiel den DIKJ -Fragebogen (Depressions-Inventar für Kinder und Jugendliche). Dieser psychologische Test für Acht- bis Sechzehnjährige besteht aus sechsundzwanzig Einzelfragen, für die jeweils drei unterschiedliche Antwortmöglichkeiten bestehen. Je nach Antwort kann man Stärke und Ausprägung der Symptome erkennen, es geht da um körperliche Beschwerden wie etwa Bauch- oder Kopfweh, Trennungsängste oder Furcht vor Dunkelheit. Noch viel wichtiger als diese Tests sind natürlich die Gespräche, die man mit den Kindern und Jugendlichen führt. Dabei bin ich als Ärztin und Therapeutin selbst das wichtigste Untersuchungsinstrument. Wie es dem Kind geht, merke ich auch an dem, was es in der sogenannten Gegenübertragung in mir auslöst. Das bedeutet: Ich registriere und analysiere, welche Gefühle entstehen, während das Kind von seinen Erlebnissen und Beziehungen erzählt. Hilflosigkeit? Oder vielleicht Wut? Im Gespräch mache ich mich zum Resonanzboden. Über die Empfindungen, die das Kind bei mir auslöst, erfahre ich viel darüber, wie es ihm eigentlich geht. Letztlich ist es insbesondere für Angehörige oft nicht einfach, die Krankheit bei Jugendlichen, gerade bei Mädchen, überhaupt zu bemerken. Denn je weniger nach außen gerichtet die Störung ist, desto weniger wird sie auch diagnostiziert. Außerdem sind die Kinderärzte oft nicht entsprechend geschult, obwohl sich da in den letzten Jahren viel bewegt hat.
    Wie unterscheiden sich Depressionen bei Jungen und Mädchen?
    Mädchen wenden, wie gesagt, ihre Probleme nach innen, gegen sich, fühlen sich unattraktiv, uninteressant und wertlos. Jungen richten ihre Not eher aggressiv nach außen, gegen andere. Oder sie werden zu uns geschickt, weil sie ständig die Schule schwänzen – was vielfach ein Ausdruck von depressiver Not ist. Mädchen leiden übrigens deutlich häufiger an Depressionen als Jungen. Das zeigt beispielsweise KIGGS (Kinder- und Jugend-Gesundheits-Survey), eine Langzeitstudie vom Robert Koch-Institut von 2008. Nach dieser Untersuchung weisen sieben bis zehn Prozent der Mädchen depressive Symptome auf.
    Woran werden die Depressionen der Mädchen denn überhaupt erkannt?
    Depressionen verbergen sich manchmal hinter stark angepasstem, zurückgenommenem Verhalten oder hinter Stimmungsschwankungen, die oft der Pubertät zugeschrieben werden. Gerade bei Mädchen werden Depressionen meist lange nicht diagnostiziert oder gar ignoriert, sodass sie manchmal schon in einer gefährlichen suizidalen Stimmung sind, bevor die Krankheit entdeckt wird. Die schlimmste Folge: Es gelingt ihnen erst mit einem Selbstmordversuch, auf ihre Not aufmerksam zu machen. Das zeigt, wie ernst Depressionen bei Mädchen und jungen Frauen zu nehmen sind. Zwar sind in jüngeren Jahren Suizidversuche viel häufiger als vollendete Selbstmorde, trotzdem ist bei Frauen zwischen fünfzehn und fünfunddreißig der Suizid nach Unfällen die zweithäufigste Todesursache. Der Appell, für sein Kind lieber zu früh als zu spät psychische Hilfe zu suchen, kann nicht laut genug sein.
    Warum ist bei jungen Frauen der Suizid

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