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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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erschien. Die Möbel waren nicht einmal hässlich, nur waren sie überhaupt nicht mein Geschmack und furchtbar unpersönlich.
    Es war überhaupt eine schreckliche Zeit. Auf Wunsch meines Vaters machte ich in einer Münchner Bank eine Ausbildung, was mich gleichzeitig langweilte und überforderte. Und in der Schwabinger Wohnung spitzte sich die Situation zu. Wollte ich nicht mit meinem Vater essen gehen, sperrte er zur Strafe die Küche ab. Am nächsten Morgen wütete er wie ein Berserker, sodass die Nachbarn an die Decke klopften. Es war unerträglich.
    Täglich telefonierte ich mit Chiara, um meine Not zu lindern. Eines Tages sprach ich die Frage, die mir schon lange im Kopf herumging, laut aus: »Wenn ich nach Hamburg gehe, könnte ich dann für die erste Zeit bei dir wohnen?« – »Willst du das wirklich tun?«, gab sie zu bedenken. »Dann gibt es kein Zurück mehr. Aber was deine Frage angeht – wohnen kannst du auf jeden Fall bei mir, du bist herzlich willkommen!«
    Was hätte ich in dieser Zeit nur ohne meine Freundin gemacht? Nach neun Monaten in München, nach neun Monaten erbittertem Kleinkrieg war es dann so weit: Ich zog aus. Dem vorausgegangen war ein letzter, zornentbrannter Streit.
    Â»Ich bin ein Viereck, und du versuchst mit aller Gewalt, meine Ecken abzuhobeln und mich zu einer Kugel zu formen«, erklärte ich meinem Vater unter Tränen.
    Er verstand nicht, was ich ihm damit sagen wollte. »Was ist denn das schon wieder für ein Quatsch, du bist ja total bescheuert«, sagte er nur.
    Mir wurde endgültig klar: Jede Auseinandersetzung war sinnlos. Am kommenden Samstag, mein Vater und seine Freundin waren zum Shoppen in die Münchner Maximilianstraße gefahren, packte ich schnell meinen schwarzen Delsey-Koffer, eine silberne Head-Sporttasche und zwei Dallmayr-Papiertüten voll. Die Wohnung in Schwabing verließ ich einzig mit meinen Kleidern und Büchern. Ich hinterließ keine Nachricht. Mit meinen Sachen fuhr ich zum Hauptbahnhof, lieh mir von meinem ersparten Geld einen Wagen und schlug den Weg nach Hamburg ein. Die Strecke dauerte sieben Stunden, und sieben Stunden lang heulte ich zu »Brothers in Arms« von Dire Straits. Immer wieder spulte ich im Kassettenrekorder des Autos den Song zurück, bis ich abends bei Chiara ankam. Am Montag würde ich meine Ausbildung in einer Hamburger Filiale meiner Bank weiterführen, das hatte ich noch in München arrangieren können.
    Vier Monate wohnte ich bei Chiara, danach zog ich in eine Einzimmerwohnung. Geld für einen eigenen Haushalt hatte ich nicht, mein Ausbildungsgehalt reichte nur für das Nötigste: eine Matratze, eine Schreibtischplatte, zwei Böcke sowie Töpfe, Gläser, Teller und Besteck. Fernseher, Musikanlage, Computer, einen Schrank und einen Staubsauger konnte ich vergessen. Vielleicht würde ich heute besser mit den gut 900 Mark Lehrgeld (circa 450 Euro) auskommen, denn inzwischen weiß ich, wie man spart. Ich kenne Umsonst-Läden, eBay (das gab es damals noch nicht), Oxfam, die Tafeln und die Kleiderkammer der Caritas. Damals kam ich mit meinem Geld hinten und vorne nicht hin. Und weil ich so wütend war und alles ungerecht fand, verklagte ich meinen Vater auf Unterhalt. Björns Eltern empfahlen mir eine Anwältin für Familienrecht. Ihre Kanzlei lag in der Eppendorfer Landstraße und war ganz in Blau eingerichtet, der Teppich war blau, die Schreibtische, die Bilder, einfach alles. In mir tobte es, und der Anwältin wollte ich erzählen, wie gemein mein Vater sei, aber sie fragte nur nach Zahlen.
    Â»Was verdient Ihr Vater ungefähr?«
    Â»Wie teuer war das Internat?«
    Â»Was kostet Ihre Miete?«
    Ich antwortete so genau wie möglich.
    Â»Habe ich denn überhaupt Chancen?«, fragte ich unsicher.
    Â»Bei Ihnen sollten wir den Höchstsatz der Düsseldorfer Tabelle ansetzen können, der Leitlinie für den Unterhalt von Kindern.«
    Froh über diese Antwort ging ich nach Hause. Auf einmal schien mein Leben ganz leicht zu sein. Was noch alles auf mich zukommen würde – davon hatte ich keine Ahnung.
    Â»Eine Gerichtsverhandlung ist eine Maschine, in die man als Schwein hineinmarschiert und als Wurst wieder herauskommt« – diesen Satz las ich in dem Buch Sturmjahre der amerikanischen Schriftstellerin Barbara Wood. Er schien auch in meinem Fall zu stimmen. Sechs Jahre und zwei

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