Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
Fakten!
Der ungarische Nervenarzt Sándor Ferenczi erkannte bereits 1932: Ohne Sympathie keine Heilung. Das bestätigte auch der amerikanische Mathematiker und Psychologe Bruce E. Wampold 2001. 31 Sogar die Krankenkassen stimmen dem zu: Vor dem Beginn einer jeden Therapie gibt es zwischen fünf und acht Probesitzungen (die sogenannten probatorischen Sitzungen), damit sich Behandler und Klient kennenlernen und feststellen können, ob die Chemie stimmt. Es reicht dabei allerdings nicht, wenn man den Mann oder die Frau so ganz nett findet. Es geht ja nicht darum, mit jemandem einen kleinen Plausch zu halten. Sondern, ob man so viel Vertrauen fassen kann, dass man ihm nach und nach seine persönlichen Gefühle und seine Geschichte anvertrauen mag. Nur auf dieser Grundlage kann man therapeutisch arbeiten. Welche Eigenschaften ein fähiger Therapeut grundsätzlich mitbringen sollte, hat niemand so unterhaltsam, so zutreffend, so klug und so nachvollziehbar beschrieben wie der berühmte amerikanische Psychoanalytiker Irvin D. Yalom in seinem Buch Der Panama-Hut oder Was einen guten Therapeuten ausmacht . Im Kern nennt er: Empathie, Reflexionsfähigkeit, Wärme, Akzeptanz, Geduld, Aufmerksamkeit und ganz viel Fachwissen. Ein guter Psychotherapeut hält dabei nicht sklavisch an einer Methode fest, sondern zieht Elemente von anderen Schulen hinzu, die dem Patienten helfen könnten. Die Individualität des Menschen ist entscheidend. Yalom schreibt: »Kreieren Sie für jeden Patienten eine neue Therapie.« 32
Die drei Säulen der Psychotherapie sind also Sympathie, eine authentische Beziehung zwischen Behandler und Klient sowie Fachkompetenz. Man muss aber als depressive Person die verschiedenen Therapieformen nicht vorher detailliert studieren, alles darüber wissen. Weil ich mit mir selbst so unsicher bin, reagierte ich da sehr extrem â deshalb war die Selbstpsychologie auch so hilfreich, denn bei ihr geht es um das instabile Ich. Normalerweise reicht es, sich sagen zu lassen, mit welcher Methode derjenige behandelt, das dann im Internet nachzulesen und sich ehrlich zu fragen, ob es einen anspricht, ob man sich verstanden fühlt. Dann muss man es ausprobieren, schwimmen lernt man nur im Wasser.
Ich finde es sehr hilfreich, parallel zu dem, was ich in der Therapie erlebe, vom Kopf her zu verstehen, warum der Therapeut dieses tut oder jenes sagt. Doch Freundinnen, die auch schon eine Therapie gemacht haben, wollten weder wissen, welche Erkenntnisse wir dem ungarischen Psychoanalytiker Michael Balint verdanken, noch was eine interpersonelle Psychotherapie ( IPT ) von einer CBASP (Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy) unterscheidet. Was letztlich zählt, ist, ob die Behandlung wirkt, sich also etwas verändert.
Voraussetzungen für eine Erfolg versprechende Therapie
Meine »goldenen Regeln« für eine gelingende Therapie sind nicht wissenschaftlich bewiesen, sie stammen allein aus meinem Erfahrungsfundus:
⢠Sie wollen, dass sich etwas ändert, und sind deshalb bereit, eine Behandlung und eine therapeutische Beziehung einzugehen.
⢠Es kann sein, dass Sie so hoffnungslos sind, dass Sie zweifeln, ob Ihnen überhaupt zu helfen ist. Vielleicht sind Sie eigentlich überzeugt davon, dass es sowieso nie wieder besser wird. Es reicht in einem solchen Fall völlig, wenn Sie erst einmal vom Kopf her wissen, dass es Sinn macht, eine Therapie auszuprobieren. Ihre Emotionen sind deswegen nicht falsch. Was wir fühlen, ist unsere subjektive Wahrheit. Trauen Sie sich, zu Ihren Empfindungen zu stehen. (»Eigentlich ist mir dieses ganze Psycho-Gelaber suspekt.«) Ihre Emotionen offen auszusprechen, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Heilung.
⢠Der Behandler vermittelt Ihnen so viel Vertrauen, dass Sie ihm im Lauf der Zeit erzählen können, wofür Sie sich schämen, was Sie ekelt, wen Sie hassen und was Sie sich wünschen. Aber er drängt Sie nicht, er akzeptiert, dass Sie auch Sachen für sich behalten.
⢠Wie abstrus Ihnen das, was Sie berichten, auch vorkommt: Sie fühlen sich verstanden.
⢠Obwohl Sie sich so sonderbar, unbedeutend oder schuldig fühlen: Sie merken, dass der Behandler Sie mag, Ihnen aufrichtig helfen will und dass Sie nicht nur eine Laborratte, ein Problem oder ein Fall sind.
⢠Entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil muss man nicht jedes Detail der eigenen Kindheit aufarbeiten
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