Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
Jahre später bei der Krankenkasse eine weitere Therapie beantragen kann. Richtig ist, dass in den ersten zwei Jahren ein Gutachter eingeschaltet werden muss. Versuchen kann man es also. 34
Die Kasse zahlt ambulante Ergotherapie
⢠Eine ambulante Ergotherapie kann (anders als die Musiktherapie) als Krankenkassenleistung vom Arzt verordnet werden. 35
13 Reine Nervensache â Pendlerin zwischen drinnen und drauÃen
Dienstag, 4. März 2008, 24. Tag: Jeder muss sich an die Regeln halten
Angespannt saà ich im Gruppenraum auf meinem pinkfarbenen Kunststoffstuhl, zusammen im Kreis mit den anderen Patienten. Wir waren zu zehnt, vier Männer und sechs Frauen, die meisten in Jogginghosen und Hausschuhen. An der Wand hing ein Druck von Claude Monets »Impression, Sonnenaufgang«, Schiffe im Nebel, auf dem Wasser bricht sich das Licht der aufgehenden Sonne. Dr. Müller leitete die neunzigminütige Gesprächsgruppentherapie. AuÃerdem nahm noch Frau Wulf teil. Die Schwestern und Pfleger hier in der Klinik geben nicht nur Pillen aus, sie sind zudem für bestimmte Patienten oder Patientengruppen zuständig. Ein kurzer Blick durchs Fenster nach drauÃen: Am Himmel lagen die Wolken übereinander wie graue Decken. Drinnen kochte die Stimmung. Wieder einmal stand mein Verhalten im Mittelpunkt.
»Es ist eine Frechheit, dass du nicht pünktlich aufstehst. Wenn das jeder machen würde.« Dies sagte meine Zimmernachbarin Katja, eine gut aussehende Mittvierzigerin, die als Einzige immer Trachtenmode trug.
»Wir haben auch keinen Bock, um halb acht schon zum Frühstück zu gehen, und tun es trotzdem.« Katja wurde unterstützt von Uwe, einem Dachdecker mit Stiernacken und kräftigen Pranken.
»Begreift ihr denn nicht, dass ich nicht aufstehen kann?«, erwiderte ich, bemüht, mich zu verteidigen. »Es geht nicht darum, dass ich zu bequem bin, um das Bett zu verlassen. Warum glaubt ihr mir das nicht?«
»Du ziehst dich immer raus, wir sind aber eine Gruppe«, bemerkte Elin. Mir fiel auf, dass sie ihren Kurzhaarschnitt umgefärbt hatte, an diesem Tag trug sie Platinblond. Stand ihr das? Die Gruppe holte mich schnell in die Gegenwart zurück. Von allen Seiten hagelte es auf mich ein. Ich wurde massiv attackiert, und so fühlte ich mich auch: persönlich angegriffen. Mein Herz raste, mein Mund war ganz trocken, unter den Achseln brach der Schweià aus. Am liebsten hätte ich um mich geschlagen. Vor allem aber war ich überrascht, dass ich Ãrger dafür bekam, dass ich mich nicht immer exakt an alle Regeln hielt. Von den Patienten wohlgemerkt, nicht vom Personal. Während die anderen sich noch weiter über mich ereiferten, schweiften meine Gedanken wieder kurz ab. Es war genau das passiert, was ich mir an meinem ersten Tag in der Klinik geschworen hatte zu vermeiden: Ich hatte mich verletzbar gemacht. Doch das schien unvermeidlich, denn Streit gehört hier zum Programm. Auf dieser Station wird psychodynamisch gearbeitet, was bedeutet, dass das Zusammenleben mit den anderen Patienten Teil der Therapie ist. Man soll voneinander lernen, sowohl von den gemeinsam gemachten positiven Erfahrungen wie auch von den Konflikten.
Eine Grundregel in der Psychotherapie ist es, dass in der Beziehung zum Therapeuten genau die Probleme auftauchen, die man auch sonst mit seinen Mitmenschen hat. Ob sich jemand nun immer unterordnet oder keine Nähe erträgt, arrogant ist oder leicht einzuschüchtern, ein Alphatier oder ein Mitläufer â es spiegelt sich in der therapeutischen Beziehung wider. Mit dem Therapeuten kann man dann daran arbeiten und neue, insgesamt bessere Erfahrungen machen, die in der Zukunft umzusetzen sind. Was sich in einer ambulanten Therapie zwischen zwei Menschen abspielt, betrifft auf der Station alle, die dort leben und arbeiten: also zwanzig an Persönlichkeitsstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Essstörungen, Depressionen, Ãngsten und/oder Zwängen leidende Patienten, drei Ãrzte, einen Psychologen, drei Krankenschwestern, drei Pfleger, einen Sozialarbeiter und drei Fachtherapeutinnen. Da jagt eine Auseinandersetzung die nächste, es ist ein Hexenkessel der Gefühle â und ich befand mich immer noch mittendrin. Denn der Schlagabtausch in der Gesprächsgruppentherapie ging weiter.
Ich sagte: »In einer Gruppe muss es doch möglich sein, dass Einzelne anders sind.« Langsam wurde
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