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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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Dass mich jemand wirklich hörte.
    Auch bei der zweiten Erkenntnis erschrak ich. Die Therapeutin und einige Mitglieder der Gruppe sagten mir, sie hätten sich von meinem Spiel total an die Wand gedrückt gefühlt, ich hätte ihnen den Raum genommen. Sofort war ich in Tränen aufgelöst. Mein Vater war extrem dominant, und Dominanz war deshalb für mich etwas Schlimmes. So wollte ich keinesfalls sein. Noch furchtbarer wurde die Situation für mich, weil ich selbst überhaupt nicht das Gefühl hatte, den anderen Raum wegzunehmen. Im Gegenteil. Ich fühlte mich ohnmächtig und hilflos; für mich war klar, dass mein Leid sowieso niemand mitbekam.
    Aus dieser Stunde lernte ich sehr viel. Nämlich dass ich – leider – in höchster Not äußerst bedrängend werden kann. Wie ein Kind, das sich aus Angst panisch an die Mutter klammert und sie nicht mehr loslässt. Wenn Eltern so sind wie mein Vater, schütteln sie dieses klammernde Kind einfach ab – und es fühlt sich ohnmächtig, so wie ich mich immer gefühlt hatte. Trifft man dagegen – wie in der Therapie – auf Menschen, die einem zugewandt sind, kann man einen Schritt zurückgehen, muss nicht mehr klammern und kann trotzdem immer noch eindrücklich seine Not schildern. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Schmerz ernst genommen wird.
    So konnte ich dann auch nach einiger Zeit meinen Wunsch verstehen, den ich oft in der Musiktherapie erzählte: Am liebsten würde ich in einer Band spielen – so wie ich mir eine Band vorstelle. Alle sind gleichberechtigt, keiner wird untergebuttert. Alle musizieren für sich – und zugleich miteinander. Alle sind unterschiedlich, aber gehören dennoch zusammen. Jeder hat sein Solo, doch keiner ist der alleinige Star. Manchmal entstand tatsächlich so eine Art Konzert. Das war immer wunderbar, und es machte mich sehr glücklich, daran teilzuhaben. Es war das genaue Gegenteil zu dem, wie es früher bei mir zu Hause war.
    Ãœberrascht war ich, als die Musiktherapeutin mir klarmachte, dass ich mich immer für Instrumente mit einem möglichst großen Resonanzkörper entscheiden würde. Der Kontrabass, das Klavier oder die Pauke. Es stimmte, ich spielte kaum ein anderes Instrument. Zusammen fanden wir heraus, dass es für den tiefen Wunsch steht, jemand möge sich für mich interessieren. Ich wünschte mir – auch lange Zeit heimlich –, von jemandem ganz viel Widerhall zu bekommen. Wie bei Eltern, die sich von bunt hingekritzelten Bildchen über den Teddy bis hin zu den Schleich-Tieren in der Badewanne für alles interessieren.
    Inzwischen gibt es in meinem Krankenhaus einen neuen Musiktherapeuten. Durch ihn erfuhr ich: Meine engsten Beziehungen sind immer die Zweierbeziehungen. In Gruppen habe ich oft das Gefühl, dass ich eine graue Maus bin, die neben den anderen verblasst und schließlich unsichtbar wird. Wenn ich aber mit jemandem in einem Duo spiele, entsteht oft eine große Nähe, entwickelt sich ein Frage-Antwort-Spiel, oft ein sehr vertraut klingendes Zwiegespräch oder ein durchscheinender, zarter Dialog. Die Atmosphäre im Raum verändert sich, sie scheint sich aufgrund des gemeinsamen Spiels zu verdichten. Ich kann Emotionalität geradezu fühlen, und ich weiß inzwischen, dass die Zuhörenden sie auch wahrnehmen. Im Gegensatz zum sonstigen Leben muss ich diese Nähe nicht fürchten. Es ist ja »nur« Musik. Niemand kommt mir zu nah, und trotzdem entfaltet sich zwischen mir und dem anderen eine ergreifende Intimität. Musiktherapien bieten Raum, Gefühle gemeinsam auszuhalten, darunter auch eine Traurigkeit, die so groß ist, dass man sie sonst kaum ertragen kann.
    Kontakt und Nähe durch Musik
    Ein Interview mit der Diplom-Musiktherapeutin Susanne Metzner,die als Professorin an der Hochschule Magdeburg-Stendal lehrt.
    Frau Professor Metzner, für wen eignet sich Musiktherapie?
    Die Frage lässt sich umgekehrt leichter beantworten: Für diejenigen, die mit Musik gar nichts anfangen können, eignet sich wohl eine andere Therapieform eher. Allerdings muss man noch hinzufügen, dass in der Psychotherapie eine gute therapeutische Beziehung für einen Erfolg den größeren Ausschlag gibt als die Methode oder das Medium, das zum Einsatz kommt.
    Kann es mir als Depressiver auch helfen, wenn ich alleine Musik höre?
    Bei einer depressiven Verstimmung

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