Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
greifen viele Menschen intuitiv in ihre »musikalische Hausapotheke«. Das heiÃt, sie suchen eine Musik aus, die zu ihrer Stimmung passt und die sie als angenehm und passend empfinden. Auf diese Weise entsteht beim Hören das Gefühl, verstanden und gut aufgehoben zu sein, sodass Selbstzweifel oder Antriebslosigkeit gelindert werden können.
Wie wirkt Musiktherapie bei depressiv erkrankten Menschen?
Diese Frage lässt sich pauschal nicht wirklich beantworten, weil die Menschen sehr verschieden und die Ursachen und Ausprägungen der depressiven Erkrankung unterschiedlich sind. Eine gute Therapie wird immer die individuelle Situation einer Patientin zum Ausgangspunkt nehmen. Während es für die eine Patientin hilfreich sein mag, in der Musiktherapie die eigene Kraft und vielleicht lange schon unterdrückte Impulsivität an einem Schlagzeug zu entdecken, gewinnt eine andere Patientin im musikalischen Zusammenspiel mit der Therapeutin eine Vorstellung davon, wie schwer es ist, miteinander in Kontakt zu kommen und ihn zu halten. Wünsche nach Nähe und Geborgenheit stehen Hemmungen und Verlassenheitsgefühlen gegenüber. Beiden genannten Beispielen ist gemeinsam, dass mithilfe des Musizierens die Achtsamkeit für sich selbst geweckt wird, für Wünsche und Ãngste, für wichtige Lebensereignisse und die derzeitige Lebenssituation. Dies ist wichtig, weil der depressive Mensch unter dem Gefühl der Sinnlosigkeit und der Entfremdung vom eigenen Leben leidet. Eines der wichtigsten Therapieziele besteht darin, das eigene Leben wieder in die Hand nehmen zu können. Bei sehr schweren Depressionen kommt zu den Hauptsymptomen ein verändertes Zeiterleben hinzu. Hier kann Musik, die sich ja in der Zeit abspielt, dabei helfen, das innere Tempo, den eigenen Rhythmus wiederzufinden. Das ist oft sehr mühsam, weil die Angst zu versagen und die eigenen Ansprüche, dass das schnell gelingen müsse, mächtige Hinderungsgründe darstellen.
Der Vorteil von Musik ist ihre Wandelbarkeit und Vielseitigkeit. Aber es ist auch manchmal eine einfache Melodie, die zu rühren vermag und die Hoffnung vermittelt, dass es auch wieder sonnigere Zeiten geben wird. Gerade einen depressiven Menschen kann dies wiederum traurig stimmen. Aber wer unter einer Depression leidet, hat auch Grund zum Trauern. Musik lässt manchmal Tränen hochkommen, aber sie ist für viele Menschen zugleich Trostspenderin.
Haben Sie in der Musiktherapie bei depressiven Frauen Typisches beobachten können?
Frauen sind trotz ihrer Depression oft bereit, sich auf etwas Neues einzulassen, auch wenn nicht gleich klar ist, was dabei herauskommen soll. Das kann von Vorteil sein, wenn es darum geht, sich aus dem Gefängnis der Depression zu befreien.
Ein gesetzliches Schlupfloch für einen schnelleren Therapieplatz
⢠Noch ein Tipp: Sehr oft müssen Patienten monatelang auf einen Therapieplatz warten, in den neuen Bundesländern und in der Provinz kann es länger als ein Jahr dauern. Doch es gibt ein gesetzliches Schlupfloch â geregelt im Sozialgesetzbuch ( SGB ) â, mit dem man die Chance hat, früher einen Platz zu bekommen. Folgendes ist dazu notwendig: Man muss mittels eines Attests vom Arzt nachweisen, dass man dringend eine Psychotherapie braucht. Sie muss »unaufschiebbar« und »notwendig« sein. Dazu muss man schriftlich belegen, dass man versucht hat, bei mehreren Therapeuten mit Kassenzulassung einen Platz zu bekommen, jedoch ohne Erfolg. Man hat dafür einen approbierten Psychotherapeuten gefunden, der keine Kassenzulassung, aber einen freien Therapieplatz hat. Vor dem Beginn der Therapie kann man bei der Krankenkasse einen Antrag stellen, ob sie die Kosten der Sitzungen erstattet, die man selbst vorstrecken müsste. Lehnt die Kasse den Antrag auf Kostenübernahme letztlich doch ab, kann man Widerspruch einlegen. Wird der abgeschmettert, gibt es die Möglichkeit, vor dem Sozialgericht zu klagen. Es wird dann im Einzelfall entschieden. Der Nachteil ist, dass das Prozedere für depressive Patienten sehr anstrengend ist. Man kann aber Verwandte, Freunde und soziale Träger fragen, ob sie einem helfen. Denn ob man in drei oder erst in zwölf Monaten mit der Therapie beginnen kann, macht einen gewaltigen Unterschied. 33
Der Irrtum der Zwei-Jahres-Regel
⢠Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass man nach einer beendeten Psychotherapie erst zwei
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