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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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redeten und lachten miteinander, während sie sich die verschiedenen Magazine vornahmen. Drinnen entstehen innerhalb einer Gruppe oft sehr enge Gemeinschaften. Viele Patienten treffen zum ersten Mal Menschen, die sie verstehen, weil sie an einer ähnlichen Krankheit leiden. Sie fühlen sich einander sehr schnell sehr eng verbunden. Sind sie untereinander, lästern sie so ausgiebig wie damals in der Schule. Dieses enge Kollektiv entsteht allerdings ohne mich. Ich habe diese Nähe draußen, mit meinen Freunden. Drinnen bin ich sehr unsicher, wie ich mit den anderen umgehen soll, ich beherrsche ihre Sprache bis heute nicht besonders gut. In den Behandlungen ist ein Therapeut dabei, dann fühle ich mich gleich viel sicherer.
    Viele Patienten dagegen reagieren erst mal abwartend, müssen erst Vertrauen zum Therapeuten fassen. Die meisten haben überhaupt das erste Mal Kontakt mit Psychotherapie, deshalb suchen sie auch unter den Patienten, den »Gleichgesinnten«, Halt. Bei mir ist es genau umgekehrt. Der Rahmen mit den Therapeuten ist genau abgesteckt, ich vertraue darauf, dass bestimmte Grundregeln eingehalten werden. Dass sie mich nie beleidigen oder unter der Gürtellinie angreifen werden. Was nicht ausschließt, dass sie einen manchmal ganz schön heftig mit unbequemen Dingen konfrontieren. Im Gegensatz dazu muss man mit den Mitpatienten die jeweiligen Spielregeln erst herausfinden. Davor fürchtete ich mich.
    Viele von ihnen waren dann wortkarg, als es darum ging, am Ende der Ergotherapie, im Beisein der Therapeutin, die eigene Collage den anderen vorzustellen. Meine zeigte grüne Augen, einen Teddybär, das Wort »schreiben« und eine Jacht. Allerdings hätte ich am liebsten etwas Relativierendes hinzugefügt. Denn nach meinem Gefühl war ich weder eine gute Journalistin noch konnte ich gut segeln. Was konnte ich überhaupt gut?, überlegte ich. Diese Frage wird mich wohl noch lange begleiten. Vielleicht müsste ich sie mal der Gruppe stellen … O Gott, ich hatte Angst davor. Hoffentlich würde den anderen überhaupt etwas Positives zu mir einfallen.
    Dienstag, 11. März 2008, 31. Tag: Die kleine Raupe Nimmersatt
    Gesprächsgruppentherapie. Draußen blühten die Schneeglöckchen und lilafarbene Krokusse. Die Bäume waren immer noch ohne Blätter, bis auf die Blumen war alles grau in grau. Drinnen war an diesem Tag meine Sprache mal wieder Thema. Es hat mich all die Jahre verblüfft, dass es meinen Mitpatienten so wichtig ist, wie ich spreche. Die, die mich mögen, sagen: »Du kannst die Dinge so gut auf den Punkt bringen.« Die, die mich ablehnen, finden mich in meinem Sprechen überheblich, dramatisch und verurteilend.
    Während dieses Aufenthalts hatte ich am meisten Probleme mit Daniela. Sie war fünfundzwanzig, groß und schlank, trug eine randlose Brille und einen praktischen Kurzhaarschnitt. Neben ihrem Theologiestudium engagierte sie sich ehrenamtlich für die Umwelt. Wie immer saß sie kerzengerade, hatte die Füße in den Mephisto-Schuhen überkreuzt und die Hände gefaltet. Es fehlte nur noch der Rosenkranz. Heimlich, für mich, nannte ich sie »Die Märtyrerin« – weil sie immer so tapfer tat und doch ihr Leid so zelebrierte. Das ging mir auf die Nerven. Wie ich in der Therapie herausfand, lag das daran, dass sie mich an meine Mutter erinnerte. Ich kann so eine demonstrative Hilflosigkeit seit meiner Kindheit nicht mehr ertragen – und meine Wut darüber bekam an diesem Tag Daniela ab. Die war davon genervt, was und wie ich sprach.
    Â»Du nimmst einfach den ganzen Raum für dich in Anspruch, für mich bleibt gar nichts mehr übrig«, sagte sie. »Immer bist du so dominant. Deinetwegen kann ich den Aufenthalt hier für mich gar nicht richtig nutzen.«
    In Sekunden war ich auf hundertachtzig. »Ich habe genau vier Minuten gesprochen, ich achte ja mittlerweile schon auf die Zeit«, entgegnete ich. »Wenn du willst, kannst du genauso lange reden. Du tust es nur nicht.«
    Â»Ach, es reicht doch schon, wie du etwas sagst«, antwortete sie. »Immer bist du so drastisch.«
    Als ich das erste Mal hörte, dass andere allein durch die Art, wie ich etwas sage, das Gefühl haben, ich nehme ihnen den Raum zum Sprechen, war ich gleichermaßen gekränkt und erstaunt. Ich hatte nicht das Empfinden, dass ich anderen etwas wegnahm. Und es verletzte mich tief, dass ich

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