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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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»Ja, für Sie ist es neu, dass Sie etwas geschenkt bekommen, ohne sich anstrengen zu müssen. Sie können unsere Hilfe aber ruhig annehmen.« Auch ich habe inzwischen meinen Lieblingspfleger und meinen Lieblingstherapeuten.
    Freitag, 14. März 2008, 34. Tag: Des Rätsels Lösung
    Gesprächsgruppentherapie. Draußen strahlte zur Abwechslung mal die Sonne. Dr. Müller trug einen dunkelblauen Strickpullover. An diesem Tag wollte ich mich trauen und um ein Feedback bitten – ich verstand weiterhin nicht, warum mich so viele nicht mochten. Ein Krankenpfleger hatte mir in einem Einzelgespräch geraten, der Gruppe von meinen Gefühlen zu erzählen, anstatt mich auf eine Diskussion über Pünktlichkeit einzulassen. Wie so oft war es unangenehm, zuerst die Rückmeldung der anderen zu hören:
    Â»Immer bekommst du eine Extrawurst.«
    Â»Du bist ganz oft zu spät.«
    Â»Wenn du an der Reihe bist, redest du ohne Punkt und Komma« – das sagte natürlich Daniela.
    Es fiel mir sehr schwer, nicht zurückzuschlagen und den anderen unter die Nase zu reiben, wann sie sich nicht an die Regeln gehalten hatten. Dennoch versuchte ich zu benennen, was in mir vorging: »Es ist furchtbar, das alles von euch zu hören. Es tut mir total weh, wenn ihr so was sagt.«
    Die anderen waren verwundert, dass ich so gekränkt war. Dr. Müller forderte alle auf, zu äußern, wie sie sich fühlen, wenn ich nicht pünktlich erscheine. Es ging dabei wieder um das leidige Frühstücksthema. Es kam Erstaunliches zutage. Ich dachte immer, ob ich da bin oder nicht, das wäre doch egal. Was ich tat, betraf nur mich. Ich lernte in dieser Sitzung, dass ich, unabhängig davon, wie ich es wahrnahm, von den anderen als Teil der Gruppe gesehen wurde. Manchen war es per se wichtig, bei Gruppenterminen geschlossen versammelt zu sein. Diese Patienten waren sehr pflichtbewusst, fleißig und hatten hohe Ansprüche an sich und andere. Im gesunden Zustand sind es häufig Menschen, die eigene Wünsche zurückstellen und sich für andere aufopfern. Es störte sie als Sache an sich, wenn sich jemand nicht an die Vorschriften hielt. Andere waren neidisch, weil ich mich traute, gegen die Regeln im Bett liegen zu bleiben, was sie eigentlich auch gern getan hätten.
    Dr. Müller ergriff nach diesen Bekundungen das Wort. Es ging ihm darum herauszufinden, was hinter dem ganzen Streit steckte. »Frau Fuhljahn, Sie schaffen es eigentlich bei jedem Aufenthalt hier, den ganzen Ärger Ihrer Mitpatienten auf sich zu ziehen«, sagte er. »Ob Sie nun unpünktlich sind oder viel reden oder was auch immer. Das ist etwas, was Sie selbst verursachen. Warum machen Sie das? Wollen Sie unbedingt im Mittelpunkt stehen?«
    Selten war ich so ertappt worden. Ich wurde knallrot, der Schweiß brach aus allen Poren, und ich wäre wieder am liebsten aus dem Raum gerannt. Aber dieser Tag war der Tag der Wahrheit, das hatte ich beschlossen. Ja, ich wollte gern im Mittelpunkt stehen! Es war mir sehr peinlich, das zuzugeben. Doch von früher kannte ich es nur, völlig unsichtbar zu sein – wie im Heim – oder von allen gemobbt zu werden – wie im Internat. Unbewusst hatte ich Angst, das fanden wir gemeinsam heraus, dass ich auf der Station genauso ein Schattenleben führen würde wie damals im Heim. Die Angst war sogar so groß, dass ich lieber dafür sorgte, dass mich die anderen nicht mochten, als dass ich überhaupt nicht wahrgenommen wurde. Ich konnte es besser aushalten, wenn sich alle über mich aufregten, als dass ich überhaupt nicht beachtet wurde. Für mein Verhalten hatte ich mich nicht bewusst entschieden, aus dem Handeln heraus hatte ich es unbewusst inszeniert.
    Genau so funktioniert eine psychodynamisch arbeitende Therapie: An einer konkreten aktuellen Situation soll herausgefunden werden, was diese mit der Vergangenheit zu tun hat, die uns maßgeblich prägt und sich im Jetzt widerspiegelt. Mit dem so gewonnenen Wissen bekommt der Patient die Chance, dass sich seine Gefühle und sein Verhalten verändern – und kann dann neue Erfahrungen machen. In meinem Fall heißt das: In den ersten vier Jahren war ich in der Klinik meistens total unbeliebt, danach hatte ich ein, zwei Jahre die Position eines Außenseiters inne, heute bin ich einigermaßen integriert. Ich träume allerdings immer noch davon, einmal die beliebteste

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