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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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als so unersättlich wahrgenommen wurde. Ich fühlte mich wie die Raupe Nimmersatt – und das war furchtbar. Drinnen war ich natürlich in der Gesprächstherapie im Vorteil, weil Sprache mein Beruf ist. Doch das wurde mir erst nach Jahren bewusst, weil außerhalb dieser Therapie ja ständig untereinander gequasselt wurde. Aber weil das Reden vereinnahmend sein kann, gibt es genau aus diesem Grund die nonverbalen Therapien, in denen wir uns über ein anderes Medium als die Sprache ausdrücken, wie die Musik, Ton oder Farben.
    In meinem Freundeskreis falle ich mit meiner Redeweise nicht weiter auf. Am Anfang, nach den ersten Malen in der Klinik, fragte ich meine Freunde, ob ich irgendwie anders spreche. Alle schüttelten den Kopf. Meine Freundinnen und ich sind es gewohnt, uns über unsere Gefühle zu unterhalten. Wir tauschen uns ständig über Befindlichkeiten aus. Mir fällt es meistens leicht, ihnen gegenüber meine Emotionen auszudrücken, ebenso gegenüber den Therapeuten. Auf der Station ist es jedoch für viele Patienten ein Anfang, ihre Gefühle – besonders vor den Ärzten und Psychologen – in Worte zu kleiden. Sie sitzen in den Gruppen und sagen: »Geschlafen habe ich heute schlecht. Es geht mir so lala. Ich gebe weiter.« Ich dachte immer: Warum nutzen sie die Zeit nicht? Hier kann man endlich reden. Warum wollen die das nicht? Das war nicht sehr einfühlsam von mir. Aber mir war nicht klar, dass viele erst mühsam lernen mussten, über die eigenen Gefühle zu sprechen. Vor einer Gruppe von fremden Menschen von seinen privaten Angelegenheiten zu erzählen, die hochkommenden Emotionen dabei auszuhalten, vielleicht zu weinen, das muss man erst einmal wagen.
    Egal, mit wem ich spreche, ich gehe meistens schnell ins Detail, versuche, möglichst konkret und anschaulich zu formulieren – eine Folge meines Studiums und meiner journalistischen Arbeit. Außerdem dachte ich immer: Dass mein Vater mich nicht versteht, liegt daran, dass ich mich nicht richtig ausdrücken kann. Also habe ich schon von Kindheit an sprachliche Präzision trainiert. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich mein Vater fragte, wie es in der Schule war. Was ich in den Ferien machen wollte. Warum ich mich in meiner Ballettgruppe nicht wohlfühlte. Daher rede ich heute eher zu viel als zu wenig. Ich bin so dankbar, dass mir jemand zuhört, mich verstehen will. Ich musste erst lernen, dass es bei Weitem nicht allen Patienten so geht. Ich kenne die Angst, nicht verstanden zu werden, sehr gut. Doch nichts sagen zu wollen, ist mir fremd.
    Mittwoch, 12. März 2008, 32. Tag: »Da haben Sie viel für sich erreicht!«
    Musiktherapie. In der Eingangsrunde sagte jeder kurz etwas über die eigene momentane Verfassung. Mir fiel auf, dass viele darüber sprachen, was sie nicht konnten: in einen Bus einsteigen zum Beispiel. Es gibt Menschen, die können keine U-Bahn betreten, keine Straßenbahn, keinen Bus. Sie müssen immer mit dem Auto fahren. Andere erzählten in der Runde, sie schafften es nicht, längst überfällige Konflikte auszutragen. Oder das Einkaufen war ein Problem, weil sie keine Menschenmassen aushalten konnten. Heute war ich zur Abwechslung mal nicht wütend auf Daniela, sondern sie tat mir leid, als sie sagte: »Gestern Abend habe ich versucht, mit dem Fahrstuhl zu fahren – ohne Erfolg.« Vasili war als Nächster dran. Er meinte, dass er in der Gruppe etwas ansprechen wolle, was ihm schwerfalle. Er sagte: »Würde jemand beim Essen den Platz mit mir tauschen? Seit dem Überfall kann ich nicht mehr mit dem Rücken zur Tür sitzen.« Er war im vergangenen Jahr von einer Gruppe Neonazis zusammengeschlagen worden, so viel wusste ich. Mohammad bot sich sofort an, genau wie ich. Die Musiktherapeutin lobte Vasili dafür, dass er sein Problem angesprochen hatte: »Da haben Sie viel für sich erreicht.« Die Runde ging weiter. Ich hörte aufmerksam zu und dachte wieder einmal: Uns ist oft nicht klar, dass wir zwar unsere Defizite haben, aber gleichzeitig viel können – nämlich Leid ertragen. Wir sind zäh, belastbar und ausdauernd. Wer sagt, Depression ist eine Schwäche, hat keine Ahnung. Die »Schwäche« ist meist der Zusammenbruch, wenn es ohne Medikamente, Therapie und/oder Klinik nicht mehr geht.
    Donnerstag, 13. März 2008, 33. Tag: »Sorgen Sie gut für

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