Kalt ist der Abendhauch
Gläschen auszutrinken. »Hat er meinen guten Whiskey ganz allein... Nun, es hilft nichts, ich werde einen Arzt holen«, sagte er. »Meiner Meinung nach ist er am Erbrochenen erstickt. Du hättest ihm lieber Kamillentee und Haferbrei...«
Ich heulte wieder hysterisch auf: »Ich habe ihn umgebracht!«
Natürlich hatte weit und breit keiner unserer Nachbarn ein Telefon. Bis zum Arzt mußte Hugo eine halbe Stunde radeln, bis zu seinem amerikanischen Hotel, wo es natürlich mehrere
Anschlüsse gab, war es fast genauso weit. Trotzdem zog sich der müde Hugo bereits den Mantel wieder an.
»Nein«, schrie ich, »man steckt mich ins Gefängnis! Was soll dann aus den Kindern werden!«
Hugo sah sich noch einmal die Wunde an. »Haben die Kinder ihn gesehen?« fragte er.
Ich schüttelte den Kopf und trat ans Fenster. Inzwischen schneite es. »Bitte, Hugo«, flehte ich, »wenn du mich je im Leben geliebt hast, dann schaffe ihn weg...«
Er sah mich ganz entsetzt an: »Aber wieso denn? Und wie stellst du dir das vor?«
»Leg ihn auf den Anhänger und fahre ihn auf irgendein Trümmergrundstück... «
Hugo hielt mich für verrückt. Er wollte unverzüglich beim Arzt und der Polizei »Meldung erstatten«, wie er sich nach langjährigem Kriegsdienst ausdrückte.
Was sollte dann aus uns werden? Natürlich hielt es Hugo auch seinerseits für eine peinliche Situation, wenn Ida durch ein Gerichtsverfahren von unserer Beziehung erfuhr. Andererseits argumentierte er, daß bei Bernhards erbarmungswürdigem Zustand jeder Arzt glauben würde, er sei an Schwäche gestorben.
»So, und mit einer blutenden Wunde, nackt, volltrunken und vollgekotzt«, sagte ich. »Da sieht doch jeder Blinde, daß es eine Szene gegeben hat. Man wird denken, er hätte dich in seinem Nest vorgefunden, und du hättest ihn im Streit erschlagen. Da du keinen Kratzer vorweisen kannst und Bernhard von einem Windhauch hätte umgeweht werden können, sieht es wohl kaum nach Notwehr aus.«
Hugo rauchte die zehnte Zigarette. Plötzlich meinte er: »Mir geht alles wie ein Mühlrad im Kopf herum, ich muß mich erst einmal hinlegen, bevor ich durchdrehe. Vorhin dachte ich schon, ich kriege die Grippe. Morgen bin ich wieder klar.«
In meiner Vorstellung sah ich Hugo bereits im oberen Stock gemütlich schlafen, während ich mit dem toten, stinkenden Bernhard allein gelassen in der Küche blieb. Ich fing wieder an zu schreien. Irgendwann gab sich Hugo geschlagen. Er wickelte die Leiche in seinen Kleppermantel und trug sie in den Keller. Mir überließ er es, den Küchenboden aufzuwischen. Ich riß alle Fenster auf und steckte in einem unüberlegten Moment die herumliegenden Lumpen mit der Feuerzange in den glimmenden Herd, wo sie aufloderten und qualmend abbrannten. Nur die Stiefel standen noch unter dem Tisch, als Hugo aus dem Keller kam.
»Ab ins Bett«, befahl er, »sonst sind wir morgen beide krank.«
Der erschöpfte Hugo schlief tatsächlich sofort ein, während ich - fest an ihn geklammert - immer wieder die Schreckensvision der letzten Nacht vor mir sah. Bernhard ist der Vater deiner Kinder, sagte ich mir, du hast auch an ihnen bitter Unrecht getan. Hugo hatte anfangs als mein Untermieter auf dem Wohnzimmersofa geschlafen, später war er endgültig ins Doppelbett umgesiedelt. Er kam oft spät heim und stand bereits früh auf, so daß ich zuerst verhindern konnte, daß die Kinder ihren Onkel Hugo als meinen Bettgefährten betrachteten. Aber auf die Dauer war es nicht zu vermeiden, denn oft genug kam Veronika nachts zu uns gekrochen. Sie hatte nach den furchtbaren Bombennächten im Luftschutzkeller noch immer angstvolle Träume, während Ulrich dafür gern früh am Morgen vor unserem Lager stand. »Ist der Onkel Hugo jetzt unser Papa?« fragte er einmal.
Hugo liebte die Kinder und pflegte sie an freien Tagen im großen Bett mit wunderlichen Geschichten zu amüsieren. Wir wärmten uns dann alle vier unter vielen Decken, tranken heißen Kakao und aßen amerikanische Cracker. Es waren kostbare
Stunden. Veronikas Vorliebe für die Neue Welt wurde wahrscheinlich schon damals durch Bonbons - die guten Lifesavers mit dem zungenfreundlichen Rettungsloch - und Kaugummis geweckt. Wie schön wäre es gewesen, wenn sich diese Idylle parallel zu einem gewissen wirtschaftlichen Aufschwung weiter entwickelt hätte. Ich hatte mir, bevor Bernhard auftauchte, eine rosige Zukunft ausgemalt: Nach Hugos Scheidung hätte ich endlich einen Mann, der wirklich zu mir paßte, und für
Weitere Kostenlose Bücher