Kalt ist der Abendhauch
Bernhard mit der rechten Hand die zerschlissenen Stiefel aus, und der Gestank seiner Füße raubte mir fast den Atem. Er muß baden, man muß alle seine Sachen verbrennen, dachte ich und konnte doch nicht anders, als seine Freß- und Sauforgie mit mitleidigem Ekel zu beobachten. Bis das Badewasser warm war, würden sicher gute zwei Stunden vergehen.
Bernhard, dieser ordentliche, säuberliche Mensch, war zum Tier geworden. »Was hat man dir angetan...«, sagte ich.
Die Flasche war halb leer, Bernhard hatte den Schnaps wie Wasser heruntergekippt, wahrscheinlich würde er demnächst vom Stuhl sacken.
»Komm ins Bett, Charlotte«, sagte er plötzlich, »mein Hunger ist noch lange nicht gestillt.« Er begann, sich die grauen Lappen von den Füßen zu wickeln.
»Oben ist es aber kalt«, sagte ich, um Zeit zu gewinnen, »wir heizen nur in der Küche.«
Das »wir« war ein Fehler, aber Bernhard bemerkte ihn nicht. Er zog sich Hemd und Hose aus. Wollte er den harten Küchentisch zur Matratze machen? Oben im weichen Ehebett lag Hugos Schlafanzug. Nie im Leben wollte ich wieder mit Bernhard in diesem Bett schlafen.
Er stand jetzt nackt vor mir. »Zieh dich aus!« befahl er.
In früheren Jahren hatten wir uns stets in Nachthemden zur Ruhe begeben, ich hatte nur eine ungenaue Vorstellung von meinem unbekleideten Ehemann. Was sich da aber für eine übelriechende, mit eitrigen Pusteln bedeckte Schreckensgestalt vor mir aufbaute, ließ mich zittern vor Abscheu. Als er auf mich zuschwankte, stieß ich ihn mit aller Kraft von mir. Bernhard war so schwach, daß er hinstürzte und mit dem Kopf krachend gegen den Kohlenkasten schlug. Blut lief ihm über die Stirn.
Verzweifelt wartete ich eine Weile, dann näherte ich mich vorsichtig. Bernhard war entweder bewußtlos oder schlief seinen Rausch aus. Der Atem ging keuchend und schwer. Was sollte ich tun?
Schließlich holte ich Watte, Jod und Pflaster und verband die Wunde, die stetig, aber nicht allzu heftig blutete. Nackt, wie er war, konnte ich ihn nicht einfach auf dem steinernen Küchenboden liegenlassen. Bestimmt war er leicht genug, daß ich ihn ohne Hilfe nebenan aufs Sofa zerren konnte. Aber allein der Gedanke, ihn hochnehmen zu müssen, ließ wieder Panik in mir aufkommen. Mit Sicherheit wachte er in meinen Armen wieder auf! Sollte er doch liegenbleiben, bis Hugo kam und mir half. In meiner Not holte ich eine graue Pferdedecke und warf sie über den ausgemergelten Körper.
Allmählich wurde ich etwas ruhiger, trug die Essensreste in die Speisekammer, weichte die Pfanne ein und zündete mir eine amerikanische Zigarette an.
Dann überkam mich plötzlich das Gefühl, Unreinheit von mir abwaschen zu müssen. Mit dem schweren Wasserkessel lief ich ins kalte Badezimmer. Als ich zurück in die Küche kam, drangen gurgelnde Geräusche unter Bernhards Decke hervor, gleichzeitig war der Gestank so infernalisch geworden, daß ich am liebsten die Fenster aufgerissen hätte. Aber die kalte Zugluft hätte dieser Schnapsleiche wohl den Rest gegeben, ich unterließ es und flüchtete nach nebenan ins eisige Wohnzimmer. Wäre Hugo doch schon da! dachte ich; aber damit wären die Probleme auch nicht aus der Welt geschafft. Mit klappernden Zähnen wickelte ich mich in einen kleinen Teppich und hatte das Gefühl, von Bernhard bereits angesteckt worden zu sein.
Als ich endlich das Geräusch des Schlüssels an der Haustür hörte, stürzte ich hinaus und fiel dem ahnungslosen Hugo schluchzend in die Arme. Ich konnte nicht sprechen, er mußte mir immer wieder beruhigend auf den Rücken klopfen. Natürlich war auch Hugo müde und durchgefroren und strebte in die warme Küche.
»Nicht, Bernhard ist da«, stotterte ich.
Hugo hielt mich für krank, befühlte mit seiner kalten Hand meine schweißnasse Stirn und machte energisch die Küchentür auf. Er roch es sofort. »Hast du dich übergeben...«, begann er, da sah er das Bündel unter der Decke.
Ich begann, unzusammenhängend zu berichten.
Hugo hörte kaum hin, trat an den Liegenden heran und faßte ihm ebenso prüfend an die Stirn wie gerade mir. »Was ist passiert?« fragte er, und ich erklärte es abermals.
Hugo zog behutsam die Decke über Bernhards Kopf. »Er ist tot«, sagte er.
Ich bekam einen Schreikrampf.
Hugo hielt mir den Mund zu. »Du weckst die Kinder...«, aber es wirkte nicht.
»Ich habe ihn umgebracht!« kreischte ich.
Gott sei Dank blieb Hugo einigermaßen gefaßt. Er schenkte mir einen Schnaps ein und zwang mich, das
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