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Kalt ist der Abendhauch

Kalt ist der Abendhauch

Titel: Kalt ist der Abendhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Geld wieder einstecke.
    Felix kommt aus der Küche und öffnet eine Flasche Sekt, einen Tag zu früh, wie mir scheint. Susi holt Gläser, und sie wollen mit mir anstoßen.
    Ich muß lange suchen, bis ich in einer Schublade meinen silbernen Sektquirl gefunden habe. Sie kennen einen solchen Gegenstand nicht und müssen grinsen, als ich erzähle, daß ich meinen Miniaturquirl bei Einladungen stets in der Handtasche mitnahm, um den Champagner kräftig umzurühren und die letzten Bläschen aus dem Schaum auszutreiben.
    Warum? fragen sie verblüfft.
    Um nicht aufstoßen zu müssen, erkläre ich. Das gehörte sich nicht für eine Dame.
    »Süß«, sagt das Mädchen.
    Als sie gehen, höre ich, wie Felix zu seinen Freunden sagt: »Es fehlt ihr nichts, die Vorfreude ist einfach zuviel für sie.« Ach Kinder, es treibt mich nicht nur Freude um.
    Ich versuche, mir Heidemarie vorzustellen. Mein Sohn Ulrich, der mich damals zu Idas Beerdigung gefahren hat, sprach boshaft vom »längsten Busen Europas«. Das ist nun auch schon bald zehn Jahre her, Heidemarie wird nicht gerade hübscher geworden sein. Ich entsinne mich schwach, daß sie schon lange nicht mehr als Schneiderin arbeitete, sondern sich in den seltsamen Beruf einer Fußreflexzonentherapeutin einweisen ließ. Spät hatte sie geheiratet, eigentlich waren wir alle verwundert darüber. Ihr Mann stammte von der Waterkant und war Reedereikaufmann, was sich gut anhört. Aber ein arbeitsloser Reedereikaufmann, der säuft, ist wiederum keine gute Partie. Sie hatten weder Glück noch Kinder; der Hamburger besaß jedoch den Anstand, relativ früh abzuleben. Heidemarie verließ den Norden und zog wieder zu den Eltern. Im übrigen erinnere ich mich, daß sie von klein auf eine krankhafte Angst vor Käfern hatte und Hugo sie immer wieder vor Marien-, Kartoffel- und Maikäfern retten mußte. Schlimme Ausmaße nahm ihre Phobie an, als Hugos erster VW-Käfer wegen ihr wieder verkauft werden mußte.
    Hulda schimpft. »Du läßt kein gutes Haar an deiner Nichte, ich glaube dir kein Wort.«
    Natürlich hat sie recht, es ist eigentlich unter meiner Würde, meine ganze Gehässigkeit gegen Heidemarie aufzubieten. Aber es ist nun einmal so, daß mir ihre Existenz von Anfang an nicht gepaßt hat. Es gibt auch Gutes von ihr zu sagen: Sie hat stets rührend für ihre Eltern gesorgt, kein Vergleich zu meinen eigenen Kindern. Sie ist mit Hugo nach Ischia und Kopenhagen gefahren, nur weil er es sich wünschte. Und weil er es bezahlt hat, füge ich ganz leise hinzu.
    Ob mir Hugo Blumen mitbringt? Hat er immer noch volles Haar? Sein Vater besaß einen Bleikamm, mit dem er angeblich das Weiß aus den Strähnen herauskämmen konnte. Ach ja, Hugo ist genauso eitel, fast hätte ich das vergessen. Aber er ist es auf sehr angenehme Art, denn er tut stets so, als wären ihm Äußerlichkeiten unwichtig. Seine Neigung zur Literatur beschränkt sich nicht bloß auf Bücher, sondern bedeutet gelebte Kultur, Ästhetik ganz allgemein. Ich werde verzagt bei diesen Gedanken; früher war ich einmal hübsch, was wird er zu der heutigen Hutzel sagen?
    Mielchen hat mir vor Jahren einmal erzählt, daß Hugo als Kavalier alter Schule für den »korrekten Seitensprung« plädierte. Sein großes Vorbild war der untreue Albert Einstein, den man auch den »relativen Ehemann« nannte. Hugo hatte im Laufe seines Lebens eine ganze Menge Affären, die niemals zu Hause bekannt wurden. Nicht etwa, daß Ida nichts ahnte, aber sie machte gute Miene zum bösen Spiel und stellte sich blind und taub. Was sollte sie schon dagegen unternehmen? Ihre letzten zwanzig Jahre verbrachte sie im Rollstuhl. Ich habe sie selten besucht, meistens in Begleitung von Alice. Hugo deckte sich dann immer reichlich mit Arbeit ein. Die Ehe der beiden hielt bis zu Idas Tod, weil meine Schwester Haltung bewies. Sie war zwar schwer krank und deswegen verbittert, hat aber Hugo weder erpreßt noch tyrannisiert.
    Während meiner dritten Schwangerschaft hinderte mich ein plötzlicher, leidenschaftlicher Stolz daran, mit Hugo ein offenes Wort zu reden. Und dann kam ja auch der Blinde.
    »Wer kam?« fragt Hulda, das alte Mädchen.
    Ein Kriegsblinder. Das war 1947. Im Briefkasten fand ich ein Schreiben, das an meinen verstorbenen Mann adressiert war. Sollte ich es ungeöffnet zurückschicken? Die Neugier siegte. Eine Kinderschrift:
    Lieber Bernhard,
    diesen Brief diktiere ich einem Neffen. Man hat mich entlassen, weil ich durch eine Verätzung mein Augenlicht verloren

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