Kalt ist der Abendhauch
Fettschlößchen dar. Man unterschied streng zwischen »Butter« und »guter Butter«, und es war klar, daß Monika nur letztere benutzte. Die Krönung ihres Werkes waren Rosen aus Marzipan, die sie mangels geriebener Mandeln aus einer Kartoffelmasse fabrizierte. Ich hatte amerikanischen Pulverkaffee mitgebracht und als Geschenk für Mutter ein Paar rote Lederhandschuhe, die eine New Yorkerin in Hugos Hotel liegengelassen hatte. Mutter hat sie später an Ida weitergegeben. Alice war auf die Idee gekommen, medizinisch reinen Alkohol, vermengt mit Kirschsaft und Zucker, als Likör anzubieten.
Ein paar Stunden lang kamen wir Frauen - Mutter, Monika, Ida, Alice, Fanni, Heidemarie und ich - uns vor wie im Schlaraffenland. Gegen Abend jedoch begann uns männliche Gesellschaft zu fehlen. Keine außer Ida hatte einen Mann. Mutter, Monika und ich waren Witwen, Alice war verlobt, Fanni und Heidemarie waren ledig. Nur zwei sehr kleine Männer tobten manchmal herein und drängten sich an Monika oder Mutter.
Zum Abendessen gab es Kartoffelsalat, dessen Mayonnaise von vielen Dottern leuchtend gelb war; an Cholesterin dachte damals noch niemand. Bevor wir darüber herfielen, sprach Mutter ein Tischgebet, das sich über mehrere Minuten hinzog, weil sie ihres toten Mannes und der gefallenen Söhne gedachte.
»Du hast Albert vergessen«, sagte ich. Alle sahen mich bestürzt an.
Fanni sagte mild: »Gott wird unserem Bruder verzeihen.«
Mutter schwieg. Ich spürte, daß der Tod ihres jüngsten Sohnes ein nie ausgesprochener Vorwurf blieb.
Eine Woche später, ich war längst wieder hier, kam mir der plötzliche Verdacht, schwanger zu sein. Abwarten, dachte ich, nicht gleich in Panik verfallen, Hugo nicht schon wieder überstrapazieren. Zum Arzt war ich auch bei meinen ersten Schwangerschaften nicht gegangen, ich hielt es für keine Krankheit, ein Kind zu erwarten. Falls sich meine Ahnung als richtig erwies, konnte man immer noch überlegen, was zu tun war.
Hugo kam später als sonst. Alice hatte im Hotel angerufen und sehr ernst mit ihm geredet. Sie war endlich mit Ida beim Arzt gewesen, der ihren Verdacht bestätigte. Meine älteste Schwester war an multipler Sklerose erkrankt.
»Was bedeutet das nun genau?« fragte ich und konnte mich des Gedankens an eine tödliche Krankheit nicht erwehren.
»Eine entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems«, belehrte mich Hugo, der Verlauf erfolge schubartig, es gebe sowohl gutartige Formen als auch tödlich endende - jedenfalls könne man im Augenblick nicht sagen, ob Ida demnächst im Rollstuhl säße oder überhaupt keine wesentlichen Behinderungen zu erwarten seien. Und dann folgte ein Satz, der mich noch heute schmerzt: »Unter diesen Umständen kann ich meine Frau vorläufig nicht im Stich lassen...«
Und was wird aus mir? wollte ich schreien, aber ich brachte nichts heraus. Dabei hätte ich eine gute Nachricht gehabt - einen Brief vom Frankfurter Buchhändler - und hatte eigentlich gedacht, im Fall einer Zusage mit ihm feiern zu können.
Hugo lief im Zimmer auf und ab. »An meiner Stelle würdest du genauso handeln«, sagte er, wie um sich zu rechtfertigen. Dann bemerkte er den Brief auf dem Küchentisch, nahm ihn an sich und las: Er könne schon in drei Wochen in Frankfurt als Buchhändler anfangen, allerdings nur halbtags, weil für eine volle Stelle kein Geld vorhanden sei.
Ich konnte mich nicht mit ihm freuen. »Ich bin müde«, sagte ich und ging ohne weiteren Kommentar ins Bett.
Schon am nächsten Tag fuhr Hugo nach Frankfurt, um sich nach einem passenden Quartier umzusehen. In der Apfelweinkneipe unserer Verwandtschaft bot man ihm an, vorerst in der Mansarde zu logieren, wenn er dafür abends beim Ausschank half. Hugo sagte sofort zu, denn damit war seine Existenz erst einmal gesichert. In der Kneipe wurden noch immer Kaninchen geschlachtet, er würde nicht verhungern. Wenn er dann eine Wohnung gefunden hatte - was in der zerstörten Stadt wohl nicht leicht war -, wollte er Ida und Heidemarie zu sich holen. In seinem neuen Leben war kein Platz für mich.
Als Hugo sah, wie bedrückt ich war, wollte er mich trösten, aber ich entzog mich mit einer heftigen Bewegung. Sollte er doch schauen, wo er blieb mit einer Frau, die immer mehr Bedienung und Pflege brauchen würde, und einer trampeligen Tochter. Und was, wenn er wüßte, daß ich vielleicht einen Sohn von ihm erwartete? Am Ende kam dann alles wieder ins Lot. Ich, und nicht meine Schwester Ida, würde mit ihm in
Weitere Kostenlose Bücher